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aus dem Tagebuch "Darf ich das so notieren?" von Win K., Eintrag vom 30.07.2000

Malta. Irgendwie hatte ich mir mediterrane Idylle anders vorgestellt. Schon die Fahrt vom Flughafen zum Hotel irritierte, alt neben neu, bewundernswertes neben verabscheuungswürdigem, Glanz und Zerfall, Sauberkeit und Dreck und in den Straßen lauter kleine, fleißige Sprachschüler, lernen Beziehungsanbahnungsenglisch. Man sollte Eltern mal nen Video schicken, "Meine Tochter beim Fummellehrgang". Das Hotel war perfekt, Interconti stand dran und war drin, das Zimmer okay, very british, dicke Teppiche auf den Fluren, gedämpfte Stille und gewöhnungsbedürftiges Essen, der Preis okay. Ich schleppte die Koffer und bewunderte Liz, die neben mir her stolzierte, sich ihrer Sache aber nicht ganz so sicher war. So wie ich. Es fehlt inzwischen das Selbstverständnis, die Unbefangenheit, das Vertraute, eine Beziehung. Wenn man verliebt ist, hat man keine Augen für anderes, man sieht nur sich und die Liebste und freut sich auf die nächste Gelegenheit für Fummeleien, die ganze Zeit besteht ja nur aus Fummelei und Gier aufeinander und wenn das vorbei ist und man dann so richtig liebt, dann ist alles so vertraut und glänzt, man schaut sich an und weiß, was los ist. Bei uns gibt es das alles nicht, nicht mehr oder vorübergehend nicht, keine Ahnung, aber es kotzt mich an. In dieser Hinsicht war der Urlaub der beschissenste ever. Jede Berührung konnte in Frage gestellt werden, jedes zuviel gesprochene Wort war Bedrängnis, zwei Wochen, nur sie und ich, meine Fresse, wie hab ich das nur ausgehalten? Sie neben mir im Bett, wie sie nackt durch das Zimmer hüpft, ich sie aber nicht anfassen darf, nicht mal küssen, hey, nicht mal ein beschissener Kuss, was soll das? Ja, nein, nein, ja. Komm, Baby, sagte ich mal, sind wir doch einfach mal still, bringt doch nix. Ab und zu hab ich E. Nachrichten geschickt, sie antwortete immer. Immer! Sollte mir zu denken geben. Aber nein, ich hampel dieser Frau hinterher, die ich so sehr liebe, egal was sie tut. Beschissener Urlaub.

Die Insel war nach einer Woche so unglaublich langweilig, besser wir hätten das gleich wieder beendet. Alles gesehen, verdammt nochmal alles, mehr gabs da ja nicht, nen paar alte Grabstätten, blaue Grotten am Mittelmeer, der Drehort für nen Popeye-Film (Robin Williams als Popeye, passt), Gozo war da schon ein Highlight, aber sonst? Nichts. Ein paar Leute, die man so kennenlernt, flüchtige Bekanntschaften, die man sonst nie kennenlernen würde, Zeitvertreib. Kein Strand, an dem man hätte liegen können, einer, ja, lauter Touris drauf, wie die Heringe im Schwarm, schön braun und aneinandergereiht, nee, danke. Was bleibt dann noch? Ne Hafenrundfahrt in Valetta, die war gut, zwar keine Gondelfahrt in Venedig, aber billiger. Der Typ erzählte die ganze Zeit von den Bombardements der Deutschen im 2. Weltkrieg. Und dann: Where are you from? England? Holland? Hahaha, wir Spacken sind die Bomber-Deutschen, scheiß Geschichte. Auch das noch, bloß weg hier. Blieb nur noch der Pool, blau und warm, einmal hin, einmal her, abgekühlt, auf die Liege gelegt und gelesen. Ausgerechnet Stuckrad-Barre, Soloalbum, ich greif doch nur noch ins Klo. Das einzig gute waren der Espresso nach dem Diner und die guten Kräuterzigaretten aus maltesischer Hinterhofproduktion, gut für die Verdauung.

Keine Ahnung, wie es weiter geht. Jetzt. Zuhause, was heißt das schon, sie in unserer immer noch oder vielleicht auch nicht gemeinsamen Wohnung, ich bei H. und W., zuhause kam wieder diese Einsamkeit, nächtelang die Decke anstarren, von hier nach da rollen und nicht schlafen können, nur denken, denken, denken. Tolles Leben, echt jetzt, der Job, der unbedingt sein sollte, in Reichweite, aber sonst? Nix. Liz, die ich liebe, die aber nicht weiß, was sie will, E., die ich nicht liebe, aber in die ich mich verknallt habe, irgendwie und die ich sehen will, ohne an Liz denken zu müssen, ich will das alles nicht mehr. Beschissener Urlaub, hat alles noch schlimmer gemacht.

(... )
 
Mi, 19.09.2007 |  # | (1616) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schreib mal wieder



 

Nr. 37



(wahllos herausgegriffener Ausschnitt aus dem bislang unveröffentlichten Werk "111 Tipps gegen den Blog-Blues"; Blog-Blues? Achso.)
 
Mi, 19.09.2007 |  # | (555) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: blogdings



 
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