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Stadtspaziergang

Manche Dinge bürgern sich ein, werden zur Tradition, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Das Treffen mit Kindern am einunddreißigsten Oktober zum Beispiel, manche nennen es Halloween, andere sehen darin kein deutsches Brauchtum, eine Amerikanisierung des deutschen Volkes, nun ja, und manche sind einfach locker und haben Spaß, in dieser kalten fast Vollmondnacht. Und am Sonntag dann der traditionelle Spaziergang zum See, ein Spaziergang durch das Viertel, das man nun seit zehn Jahren bewohnt, mal hier, mal da, und das sein Gesicht sehr verändert hat.

Während die Kinder aus Papiertüten, in denen gesammelte Reichtümer lagern, naschen, zweifellos ungesund und zahnschädigend, sitzen die Eltern in froher Runde, Sekt wird gereicht und Häppchen, Smalltalk macht sich breit. Man hat sich grad noch ein Haus gekauft, eines mit Mietern und viel Platz hintendran, für die eigenen zwölf Wände, ein Haus, das eigentlich der andere haben wollte, interessant, wenn der eine über den anderen dann beim Gang auf die Terasse flüstert und dies sagt und auch jenes. Ich hätte nicht einmal soundsoviel gezahlt, für diesen Preis lieber etwas im Grunewald gekauft, sagt der eine, während der andere nicht einmal um den Preis feilschen wollte, ich muss gähnen und dann Gespräche, in denen sie sich gegenseitig den Wohlstand um die Nase hauen. Mein Haus, meine Yacht, mein Superdupereintrittsticket, Champagnerrekord hier und dort, Rammstein in Barcelona und vielleicht fliegen wir nächstes Jahr zur WM nach Südafrika. Gähn. Für denjenigen, der weder mithalten will, noch Neid aufkommen lässt, sind solche Unterhaltungen ermüdend, langweilig, ach, läge ich doch nur auf meiner Couch und hätte meiner Ruhe - verschwende dein Leben. Prosit.

orankesee

Das heimatliche Viertel. Die Liebste lotste mich vor Jahren hierher, ich kannte ja vorher nur Marzahn, war ungebildet und arm und wir gingen dann nachts diese eine Straße entlang, es war im Herbst, die Birken waren golden und es herrschte eine unglaubliche Ruhe und eigenheimische Idylle, das war man als Betonplattenbaumensch doch gar nicht gewöhnt, und schon war ich verliebt. Hier will ich sein, hier will ich bleiben, sagte ich und auf Umwegen verloren wir unsere Herzen, nicht nur aneinander. Wenn man Unwissenden sagt, man wohne hier, dann wird man mitleidig angeschaut und der Kopf wird einem getätschelt, hach, ihr Armen, Plattenbausiedlung im Osten, Nazis und Hartz-IV-Gefallene, man tut den anderen leid. Gar nichts wissen die, waren ja auch noch nie hier, wissen nichts von goldenen Straßen und lauschigen Parks, von steigenden Immobilienpreisen und von Insidertipps, von Unterderhandgeschäften, manche reden auch vom Zehlendorf des Ostens, dem Land zwischen den drei Seen.

obersee

Irgendwie Idylle und um die Seen herum ein paar neue Bewohner in kleinen und großen, alten und neuen Villen, die einen sitzen gerade noch hinter ihrem Panoramfenster, Designerküche, Billyregale, eine Bücherwand im Wohnzimmer, dazu ein Kamin und zwei spielende Kinder. Ich mag keine Bücherwände in Wohnzimmern, sage ich, entweder man kann sich eine Bibliothek, ein Lesezimmer leisten oder verbannt den Lesestoff an intime Orte, Lesen ist Privatsache und Bücher keine Dinger, mit denen ich mein Wohnzimmer schmücken muss um vielleicht Bildung zu simulieren. So diskutiert man sich am Orankesee vorbei zum Obersee, vorbei am Haus von Prof. Sowieso, von dem man gestern abend etwas hörte, eine nicht so lustige Geschichte von einem ehemals Staatstragenden aus DDR-Zeiten, der jetzt den großen Kapitalisten mimt, mit Millionen jongliert und sein Haus, das er schon vor der Wende besaß und das nur ein paar Meter neben der alten Villa von Erich Mielke zu finden ist, von irgendeinem bekannten Architekten designen ließ. Wir sind das Volk und ein paar Kilometer weiter ist das Stasi-Gefängnis, paradox. Eine komische Mischung aus alteingesessenen Wendegewinnern und Neureichen bildet sich hier und in der Ferne dann doch noch ein paar Plattenbauten, in denen nicht nur Hartz-IV-Verlierer wohnen, aber Stigmatisierungen machen den Alltag doch viel einfacher.
 
Mo, 02.11.2009 |  # | (636) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Berlin











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