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Gestern, heute, morgen

Die Finanzwelt geht den Bach runter. Die globale Gesundheit auch. Alles. Bakterie fressen Gurke auf. Oder deinen Darm. Was für ein Drama. Und die abwässrigen Gurken kommen wohl aus Spanien, einem der vertrocknetesten Länder Europas mit griechenlandähnlichen Finanzproblemen und der Frage: Warum nicht mal mit Abwasser gießen? Na ja. Muss an "Duddits" denken, Stephen King. Außerirdische, Darm, Explosionen und so weiter. Alles ganz schlimm. Und wo wir schon beim Thema sind: Fifa ist kein Spiel, könnte aber auch Mafia heißen. Diese These nachzuvollziehen verlangt intellektuelle Quantensprünge. Wobei Quantensprünge niemals wirklich groß und bedeutsam, sondern die einzig möglichen Zustandsänderungen in kleinsten atomaren und subatomaren physikalischen Systemen sind. Quelle: Internet.

In der Tram wird nur noch die aus verschiedensten Quellen gestrickte, selbstgebastelte Kostenloszeitung aus dem Internet gelesen. Jedem Bildleser strecke ich dabei die Zunge heraus. Ätsch, bin viel besser als ihr. Beim Anblick einer wohlaussehenden, ansprechenden Dame, die neben mir saß, gedacht: Man müsste viel zynischer sein. Oder sarkastischer. Der Nachbar hat es vorgemacht. Nach seinem 40sten Frau und Kinder rausgeschmissen, ne lange Nase gemacht und sie durch eine neue, jüngere, bessere und so weiter ersetzt. Hat jetzt bestimmt jede Menge Spaß. Sie sieht aber kaum anders aus. Schuster, bleib bei deinen Leisten, wird der sich gesagt haben. Nur frischer sollten sie sein. Auf die Beine konnte ich keinen chinaskischen Blick werfen, was solls. Ich denk ja nur noch an Kuchen.

Wetter haben wir auch. Bestimmt unser ganzes Leben. Man muss wissen, wie man sich kleidet, um den Widrigkeiten zu trotzen. Mittelstandssichere Outdoorjacke oder gymnasiallehrerhaftes Cordjacket? Hemd, langärmlig oder kurz? Morgens und abends noch recht kühl, dafür mittags Glut. Man soll genug trinken, rät ein Mittagsmagazin (duch puren Zufall gesehen). Was täten wir ohne es und seine wunderbaren Ratschläge? Vor kurzem zum ersten Mal mit dem Schiff durch Berlin. Dabei ganz viele singende Schalkefans und Günther Netzer gesehen. Und das Kanzleramt. War alles nicht so besonders. Nur der kühle Fahrtwind, der war toll. Muss ich heute noch gießen oder wird es regnen?
 
Di, 31.05.2011 |  # | (1228) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Maschinen und ich

Die Frage, ob man irgendwo angekommen ist, kann man sich selbst beantworten. Man fährt los, schaut vorher in einen Plan, wenn man nicht genau weiß, wie man dort hin kommt, ansonsten lässt man sich von seiner Kenntnis leiten. Im Zeitalter der Satelliten und des allgegenwärtigen Internets verlässt man sich seltener auf seine Kenntnis, man googelt, um zu wissen. Einen Stadtplan habe ich schon lange nicht mehr, jedenfalls keinen aktuellen. Wenn ich irgendwo hin möchte und nicht weiß, wie, frage ich Google. Google sagt es mir, ich kann eine Route ausdrucken und finde den Weg. Ich erlange Kenntnis, bevor ich losfahre, weiß also schon Bescheid, bevor ich den Schlüssel im Zündschloss umdrehe. Neuerdings will ich mich auf eine Maschine verlassen. Ich sage der Maschine, wohin ich möchte, sie leitet mich. Mithilfe von Satelliten und des Internets. So die Theorie. In der Praxis werden Routen ständig neu berechnet, verwirrende Auskünfte erteilt, die gar nicht stimmen können - wie zum Beispiel "Fahren Sie sieben Kilometer geradeaus." und kurze Zeit später "An der nächsten Kreuzung links abbiegen und wenden." dann wieder "Fahren Sie sechs Kilometer geradeaus." - Satellitensignale gehen verloren, Geschwindigkeiten übertreten, obwohl man steht. Das führt zu Verwirrung und Belustigung, aber nicht ans Ziel. Wahrscheinlich bin ich dem nicht ganz gewachsen. Wahrscheinlich bin ich einer, der Routenpläne aus dem Internet ausdrucken muss - ein Internetausdrucker - nicht geschaffen, der netten Stimme einer Maschine zu folgen. Ich folge lieber der Stimme der Beifahrerin, befrage lieber ein Kind, auf das es einen Blick auf das ausgedruckte Kartenmaterial werfe, ich kann mich nicht hundertprozentig in die virtuellen Arme einer Maschine fallen lassen. Um Maschinen zu vertrauen bedarf es Vertrauen, das ich nicht habe. Maschinen werde ich immer skeptisch betrachten. Und trotzdem nutzen.
 
Mo, 26.04.2010 |  # | (757) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Mal schnell die Spinnweben entfernt

Ach ja, gibt ja noch das Blog.

Ist keine Verpflichtung, so ein Blog.

Ein total unkommerzielles Blog, ein Hobby. Hobbyarbeit. Hobbyarbeit ist das Gegenteil von professionell, weswegen dieses Medium "Blog" nicht ernst genommen werden muss.

Obwohl etwas drin steckt.

Gedanken, zum Beispiel. Deswegen sollte so ein Blog nicht so schnell abgeschrieben werden. Kopieren ja, abschreiben nein. Ich bin ja nicht die Musikindustrie, die habe ich abgeschrieben.

Man denke auch an eventuell vorbei streunende Kommentatorinnen und Kommentatoren. Sind ja nicht mehr viele.

Auch an solche Menschinnen und Menschen, denen man schon längst eine Mailantwort schuldig ist. Usw. Das Blog als Kommunikationsmaschine, im privaten Sinne. Auch nicht zu verachten.

Ist also doch nicht ganz so nutzlos, so ein Blog. Aber keine Verpflichtung.
 
Mo, 12.04.2010 |  # | (856) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Meta, irgendwie, so

Durch das Zimmer schlurfen und sich hustend fragen: Wozu das Ganze? Seit einer Woche an einem Beiträgchen für das Blögchen sitzen, das kann nicht gesund sein. Ist man zu angestrengt oder zu beschwert? Warum klingt das in einer Woche heraus gebrütete, ja, heraus gepresste, so gestelzt, so gewollt und nicht gekonnt, so gockelig, dass es einem in der Magengrube drückt, ganz schlecht wird einem da. Früher, damals, als alles besser war, klang das alles rund und flutschig und die Geburt dauerte nur ein paar Minuten, warum liegt man (Mann! wie absurd) jetzt tagelang in den Wehen? Aber dann, ja, dann, dann schau ich in den Spiegel und sage "Ha, du Schurke. Hast dich selbst betrogen, ein Praktiker bist du, kein Theorist. Nimm es hin, wenn der Hirnschleim mal zäh fließt und geh auch mal hinaus, Blümchen zählen, da passiert nämlich gerade wieder ordentlich was."
 
Mi, 17.03.2010 |  # | (606) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Alltagsphilosphie

Damit leben können, so viele Dinge nicht zu wissen. Dann hat man immer etwas, das man noch lernen kann. Allerdings sollte man dieses gepflegte "etwas noch nicht wissen" nicht mit "keine Ahnung haben" verwechseln.
 
Di, 02.03.2010 |  # | (944) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Die wunderbare Zeit des homo romanticus

Was tun Sie denn den ganzen Tag? Vor allen Dingen bei diesem Wetter. Überhaupt: Wetter. Man gibt sich gern der grandiosen Belanglosigkeit des Wetters hin, denn: Ohne geht es ja gar nicht. Man ist ihm ausgeliefert, es kommt einfach über einen, ohne das man sich wehren kann, es regnet, hagelt, schneit und stürmt oder es scheint die Sonne und umschmeichelt mit warmen Strahlen die vom Winter gegerbte Haut, Sie können es nicht ändern. Es gibt Dinge, die sind einfach so.

Die einfache Natur schert sich also nicht besonders um selbige, sondern stößt einfach mal weit das Fenster auf, atmet tief von der erwärmten Luft, hört ein paar mutigen Vögeln zu, die bereits jetzt, da der Schnee immer noch alles fest im Griff zu haben scheint, heraus kommen und ein Lied singen, das Lied vom Frühling. Hallo, meine Freunde, denkt sich die einfache Natur, aus dem Fenster schauend und prüft ein paar Verse zum Frühlingsbeginn, Trivialitäten, die ihm gerade einfallen (Goethes Faust, Eichendorff, Mörike), ob sie denn schon passen mögen, auf das sonnige Spektakel, das gerade draußen gespielt wird. Sie passen.

Und es geht dabei etwas vor, im Menschen. Er schaut aus dem Fenster, beugt sich heraus, Sonnenstrahlen erwärmen Haare, Stirn, Wangen, Wasser tropft vom Dach herab, das kleine Bächlein, das er seit Wochen nicht mehr gesehen hat, zeigt sich wieder, sprudelt munter unter der Eisschicht und die Luft schmeckt schon ganz anders. Tief im Inneren geht etwas vor, im Menschen, ein kleines Gefühl, irgendwo aus der Magengegend kommend, noch kann man es gar nicht recht zuordnen, ist es Melancholie oder Vorfreude oder was? Es steigt auf, wie die Säfte in den Bäumen, sobald der Frost das Land verlässt, wirken die Glieder frischer, die müden Knochen und der vom Winter angegraute Geist wacher , als hätte man bis jetzt innerlich Winterschlaf gehalten.

Geister erwecken, liebste Beschäftigung am Wochenende. Am Tisch sitzen und lesen. Das Internet Internet sein lassen, in der Zeitung blättern, dazwischen Kartoffeln schälen oder mal hinaus gehen, schauen, ob nicht doch schon irgendwo ein Schneeglöckchen den Kopf heraus gestreckt hat, mutig, auf den Frühling vertrauend, durch die Welt spazieren und dabei auf dem Teppich bleiben, so kann das Jahr weitergehen.
 
Mo, 22.02.2010 |  # | (805) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Bitte oszillieren Sie!

Spätrömische Dekadenz, literarische Abschreibübung als Grundlage für einen Bestseller, Print ist besser als Web ist besser als Blogs, die ja sowieso irgendwie Unterschicht sind, weil: Das kann ja jeder. Man braucht ja nicht einmal eine Ausbildung.

Und so weiter.

Die Sozen haben keine Ahnung und sich selbst abgeschossen, die Christen sind viel zu konservativ, die Liberalen neoliberal und sozialfeindlich, die Grünen auch nur ökologische Christen, die Linken unverbesserliche Kommunisten und Sozialromantiker.

Und dann der Sozialschmarotzer, der den ganzen Tag auf der faulen Haut liegt (und blöderweise seine Zeit mit so unsinnigen Dingen wie BILD und RTL verschwendet, statt in dieser Zeit doch wenigstens mal eine öffentliche Bibliothek aufzusuchen und sein Wissen breit zu fächern, das kostet gerade mal fünf Euro), während der brave Steuerzahler für ihn arbeiten geht und später vielleicht noch für sich selbst, aber ebend insgesamt nicht so wunderbar dekadent den ganzen Tag vor der Glotze lümmelnd, wie der Sozialschmarotzer.

Und dann dieses arme Mädel (Jaha, da kommen sie dann auch alle raus und hauen auf die drauf, weil die eben nicht aussieht, wie man sich das eigentlich von einer medial gehypten Siebzehnjährigen wünscht, als müsste jemand, der in irgendeiner Weise schreibend tätig sein möchte, gerade durch gutes Aussehen glänzen, ihr Pfeifen, ey. Was wohl der Bohlen an eurer Stelle gesagt hätte? Hast ne Stimme wie nen kaputter Toaster und siehst dazu auch noch aus wie Toastbrot? Aber ihr seid ja eh besser, als der RTL-Bohlen.), das wird dann erst getragen und dann getreten, okay, so ist das, wenn man sich in den medialen Käfig begibt, das müsste gerade so eine junge Göhre doch aus DSDS kennen (die schauen doch sowas, die Siebzehnjährigen), da wird auch erst alles toll gefunden und trotzdem gewinnt nur einer.

Man muss ja auch gar kein Mitleid haben und darf solche Formen von Inspiration natürlich doof und dämlich finden, aber bitte, dieser ganze Zirkus, dieser Hype, mal hier, mal da, ständig zwischen total geil und total scheiße pendelnd, wo ist denn da mal ein vernünftiges Maß? Und überhaupt, irgendwie vermisst man doch auch mal eine positive, nach vorne gerichtete Meldung, es kann doch nicht alles problembehaftet und negativ sein, nicht alles ist Krise, nicht jeder überdurchschnittlich scheereiche Winter gleich ne Klimakatastrophe.

Bitte oszillieren Sie!
 
Do, 18.02.2010 |  # | (553) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

eLesen

Am Verrücktesten, denke ich manchmal, sind die E-Buch-Freunde, die immer so supercheckermäßig lächeln, sobald jemand "Haptik" sagt. Wie peinlich, dass jemand eine Immaterialität anfassen will! Ich denke mir dann immer, sollen sie doch mit einem Turingtest vögeln.

Peter Praschl - Lesen, Schreiben [1]

Ein weiteres hartnäckiges Argument für das eBook: Man muss sich die Zimmer nicht mehr mit Bücherregalen voll stellen. Ich weiß ja auch gar nicht, was Feng-Shui-Berater oder hypermoderne Inneneinrichter zu Bücherwänden sagen, wahrscheinlich passen Bücherregale - ob nun Ikea-Billy, selbstgezimmerte Rohholzbauten oder Opas altes Echtholzbüchermöbel aus dem vorletzten Jahrhundert - überhaupt nicht in moderne Wohnkonzepte oder stören den Feng-Shui-Energiefluss. Dieses ganze gesammelte Wissen.

Ein eBook-Reader befreit den Menschen doch endlich vom schrecklichen Bücherregal, ohne ihn des Lesestoffs zu berauben, ist doch supi. Natürlich fragt sich der Familienmensch, der nicht allein lebende Single ist - aber vielleicht ist der ja auch schon Randgruppe? - welche Vorteile das eBook rein familientechnisch bringen soll. Es kommt ja selten vor, dass alle Familienmitglieder gleichzeitig an einer Schwarte sitzen und sich gegenseitig vorlesen. Ach so, verstehe. Da sind dann mehrere Exemplare anzuschaffen, das kommt ja auch der Wirtschaft zugute, nicht. Wir kaufen also vier schicke eBook-Reader, weil wir ja alle leider noch irgendwie lesen, das macht dann runde 1.300 Euro, gibt es da eigentlich Rabatt für Massenbestellungen? Und dann müssen auch noch die ganzen vorhandenen Lagerbestände an Lesematerial nachgekauft werden? Oder fährt man die ersten fünf Jahre zweigleisig, schleppt Buch und Reader überall mit hin? Oder kauft man sich doch lieber für das Geld zwei- oder dreihundert echte, papierne Bücher?

Und ich stelle mir das dann so vor, wie man abends mit den Kindern im Bett rumlümmelt und neben der Gute-Nacht-Geschichte kann man noch ein bisschen im Internet rumsurfen, denn so ein eBook-Reader ist doch sicher nicht nur schnöder eBook-Reader, sondern eine Multimediamaschine, mit youtube und facebook und twitter und diesem ganzen Zeug, das ist ja alles ein Muss, heutzutage, und dann zeigt man den Kindern die Erwachsenenfassung der Odyssee und die entdecken, was man mit Sprache alles anstellen kann, was ja insgesamt gesehen dann doch gar nicht mal so schlecht ist. Unentschieden, denke ich, man muss die Sache weiterhin beobachten.

[Angesichts dreier Umzugskisten, voll gepackt mit meiner gesamten Kindheitsliteratur, die einem Wasserschaden zum Opfer fielen, müsst ich wohl umgehend und ausschließlich positiv dem eBook gegenüberstehen, aber.]
 
Fr, 15.01.2010 |  # | (946) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Wmuws*

(*Wmuws - Was man unbedingt wissen sollte)

Für den kleinen Wissenshunger zwischendurch:
  • Der Donnerstag wurde nach "Thor", einer germanischen Gewittergottheit, benannt. Ich kannte sogar mal einen Menschen, der einen thorischen Hammer um den Hals hängen hatte, keine Ahnung, ob der wusste, dass der Donnerstag nach dieser alterwürdigen nordischen Hauheit benannt wurde, auf jeden Fall wollte er mir immer etwas aus der Edda vorlesen, was mich sofort langweilte. Deshalb kenne ich den auch nicht mehr. (Link)
  • Auf den Donnerstag folgt der Freitag, auf Blitz und Donner folgt weiblicher Sanftmut, denn auch der Freitag wurde nach einer germanischen Gottheit benannt, genauer nach der Göttin der Liebe und der Ehe: Freya. Nun denn. (Link)
  • Der Begriff "zwischen den Jahren" war mir lange kein Begriff. Der Kinderradiosender der Kinder machte darauf aufmerksam, dass es sich bei diesem Begriff um eine alte christliche Redewendung für die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr handelt, was ich als Agnostiker natürlich nicht wissen kann. (Link)
  • Mit jeder Packung des Recyclingpapiers, auf dem so manch halbnützlicher Schwachsinn aus meiner Feder gedruckt wird, werden im Vergleich zu stinknormalen Frischfaserpapier angeblich 79,4 Liter Wasser, 16,3 kWh Strom und 7,5 kg Holz gespart.
  • Sparsame Haushalte, unfähige Banker - Vielleicht auch etwas, mit dem man sich in 2010 weiterhin beschäftigen sollte.

 
Di, 05.01.2010 |  # | (554) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

Bestseller 2009? Finanzkrise für Dummies

Dreht euch nicht um, der Plumpssack geht um und wer sich umsieht, bekommt einen Hieb. Eine übertriebene Selbstkritik.

Bis vor einem knappen halben Jahr war ich naiv und dumm. Geld, meine Güte, ja, hat man welches, gibt man es aus, für notwendige oder weniger notwendige Dinge und wenn am Ende des Monats noch etwas übrig bleibt, packt man das auf ein Sparbuch bei der Stadtsparkasse und freut sich über drei Euro fünfzig Zinsen oder auch ein wenig mehr. So naiv und dumm, wie man eben ist, wenn Geld allein als lebensnotwendiges Übel angesehen wird und sonstige Werte mangels eben jenem weder erwirtschaftet noch ererbt werden konnten. Jedenfalls bis jetzt. Keine Immobilienparks, keine Aktienpakete, keine Staatsanleihen und auch keine Abschreibungen, ich hatte mal einen Bausparvertrag und auch ein kleines blaues Büchlein von der Bayerischen Vereinsbank, die mir immer sauber und gediegen vorkam. Uns geht es gut, wir sind naiv und dumm.

Nichts wusste ich über Zertifikate, CDS, CDO (hier für Nicht-Dummies), faule Kredite und Lehman Brothers, diese wilde Welt der Hochfinanz und Spekulation. Die Liste der persönlichen Unwissenheit ist elendig lang und wird täglich länger, mit jeder Botschaft, die uns stetig einem wohl unvermeidlichen, tiefen Bruch mit all dem Bekannten und den lieb gewonnen Annehmlichkeiten näher bringt, glaubt man zumindest einigen Blogs, denen ich persönlich mehr Realismus zutraue, als anderen Medien. Schlimm.

In der Dresdner Bank an der Ecke, in deren Vorhof zur Hölle ich regelmäßig meine schmale Brieftasche fülle, mit Beträgen, die sogenannte „gierige Manager“ zum Schmunzeln bringen dürften, aber auch nicht mehr lange, demnächst würde sich wohl der eine oder andere auch darüber freuen – in kleinen Münzen in einen kleinen Plastikbecher hinein geworfen, dazu unprofessionelles melancholisches Akkordeonspiel am Potsdamer Platz, an dem das für mich aussagekräftigste Symbol eines sich selbst zugrunde richtenden Wirtschaftssystem zu finden ist: Eine künstliche Hausfassade aus bedrucktem Stoff, die den Eindruck erzeugen soll, hier gäbe es keine Baulücken – in dieser Dresdner Bank also hängen unter der Überschrift „Aktuelle Börsenkurse“ die Aktienkurse vom 19.09.2008, vier Tage nach der Lehman-Pleite, mit einem DAX-Kurs knapp über 6.000 Punkten. Seit fast vier Monaten schon will man hier scheinbar nicht wahr haben, dass wohl kaum etwas tatsächlich so war, wie man selbst dachte, annahm, hoffte oder grob fahrlässig nicht wusste, dass in den vergangenen Jahren eine Parallelwelt entstanden ist, in der riesige Räder gefüllt mit Spekulation und einem unerschütterlichen Glauben ans Glück gedreht wurden, ein Welt, in der ein womöglich nicht ganz so schlechter Kapitalismus zu einer Religion mutierte und immer wieder fällt mir dabei ein, wie gern und abfällig zu Hause über „Mammon“ gesprochen wurde. Aber das waren ja auch alles Sozialisten. I, bäh, pfui Teufel.

Doch es bleibt festzuhalten: Immer noch bin ich naiv und dumm. Manchmal, in weniger wachen Momenten, glaube ich nämlich, im tiefsten Inneren immer noch so eine Art Thälmann-Pionier zu sein, einer der glaubt, mit Spendensammlungen für die Erdbebenopfer in Armenien oder der regelmäßigen Verbringung von Glasflaschen zum Sero-Händler könne man sich eine kleine, heile Welt erhalten. Im tiefsten Inneren herrscht wohl immer noch diese grenzenlose, kindliche Naivität. Und je größer die Naivität, umso größer auch die Angst, vor dem Unbekannten, Angst vor dem dunklen Monster, das bald und aus welcher Ecke auch immer hervor springen wird, um einen auszuweiden und aufzufressen. Hoch hielt ich bisher die Fahne des Idealismus und irgendjemand sagt auch gerne leise: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Hoffen und Bangen zähle ich inzwischen zu Glaubensfragen, vielleicht mal bei der Dresdner Bank nachfragen, die mit den aktuellen Aktienkursen vom 19.09.2008, vielleicht können die mir ja Mut machen.

[Weisheit des Tages: Schwarz sehen bringt auch kein Licht ins Dunkel.]
 
Fr, 09.01.2009 |  # | (872) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung



 

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Letzte Aktualisierung: 02.04.2024, 15:05


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