pixel pixel



Nichts besonderes mehr.

Wocheenderinnerungen. Morgens anstehen im Wahllokal, wann gab es das schon mal? Ältere Menschen brauchen lange, sie scheinen die Wahlscheine von oben nach unten komplett durchzulesen, vielleicht hilft es ihnen, sich am Ende richtig zu entscheiden. Wer weiß das denn schon? Also ob man sich richtig entschieden hat. Am Abend die einhellige Meinung: 7,3 Prozent habe sich woanders nicht richtig entschieden und knappe vierzig Prozent haben das auch noch durch aktives Nichtwählen unterstützt*. Trotzdem herrscht keine allgemeine Betroffenheit, es gibt keine Schuldzuweisungen, die Menschen sind wohl außerordentlich verzweifelt, verlassen und deshalb vertrauen sie mehr auf Demagogen, die mit dummen Sprüchen und altem Gedankengut Versprechen untermauern wollen, die genauso weit von der Realität entfernt sind, wie der Wunsch nach Vollbeschäftigung, als auf langweilige Politiker scheinbarer Volksparteien, die hilflos und von praktischen Lösungen meilenweit entfernt sind. Eine Fahrt von Anklam auf die neue Autobahn im März bewies im Prinzip alles.

Feldarbeit, befreiend für die Seele, ich ernte mit dreckigen Händen Rote Beete und erfreue mich dabei an dem jetzt schon leicht zu erahnenden erdigen Geruch dieses blutigen Gemüses und denke an die zermatschte Banane und die ausprepresste Grapefruit, das alles zusammengerührt zu einem übel aussehenden Salat, der noch nach Tagen seine Spuren hinterlässt, aber trotzdem wunderbar schmeckt. Die Sonne ist noch kräftig genug, um kleine Schweißperlen auf die Stirn zu treiben, im Wind steckt schon eine kleine Spur des heranziehenden Herbstes, im Garten hängt der leichte Geruch verfaulenden Obstes, süßlich und matschig, Wespen schwirren um die langsam zerfallenden Früchte herum, es ist ein Wunder, dass bis auf die Wurzel herunter geschnittene Pflanzen im Frühjahr wieder prächtig wachsen werden, der Garten wird lichter und empfängt befreit die letzten wärmenden Strahlen der Sonne.

Menschen strömen, Kinder, Unmengen an Kindern, die sich an Hüpfburgen, Karussels, Malständen und frei herum laufenden Tieren erfreuen, irgendwo gibt es ein Kasperle-Theater, für meinen Geschmack etwas zu langatmig, finden die Kinder auch. Hier tobt das Leben und wir mittendrin, es könnte der letzte schöne Sonntag des Jahres sein, wir müssen genießen, bis die Sonne untergeht, die Leichtigkeit, die Freude, alles im Herzen einschließen, für die kalten, dunklen Tage, die allerdings ebenso schön sein können (an dieser Stelle schweift der Geist ein wenig in Richtung zugefrorener Seen voller wagemutiger Schlittschuhläufer, strahlende Wintersonne und Glühwein - titscher - titscher - titscher - dirr . . ./ Heißa, du lustiger Kieselstein!/ Er zwitschert wie ein Vögelein/ und tut als wie ein Schwälblein fliegen -/ doch endlich bleibt mein Kieselstein/ ganz weit, ganz weit auf dem See draußen liegen. - das ist jetzt doch etwas zu kitschig und zu weit hergeholt.) Freundschaften entwickeln sich oder eben nicht. Manchmal entwickelt man sich selbst und ist am Ende von anderen nur noch gelangweilt. Es bringt nichts, am langsam vergehenden festzuhalten, vielleicht ist diese Erkenntnis auf den ersten Blick recht schmerzvoll, allerdings wegen verloren gegangener Übereinstimmungen unumgänglich. Man schweigt sich an, redet aneinander vorbei, stellt fest, dass die Träume weit auseinandergehen, denn während man selbst von der Unvergänglichkeit dieses Lichts träumt, möchte der andere nur noch schnell zum Hertha-Spiel, VIP-Karten. Schade.

113 Kastanien landen im Eimer, viele dieser stacheligen Früchte sind noch nicht aufgeplatzt und fallen auch nicht von allein vom Baum herunter, wir müssen nachhelfen, ein lustiges Spiel und wir vergessen dabei die Zeit. Es ist egal, was wir mit den Kastanien am Ende anfangen, vielleicht begutachten wir die Maserung, bauen Figuren daraus, zählen sie einfach nur, bauen Straßen oder nehmen sie gar als Fensterdekoration. In der Wohnung sammeln sich die Spinnen und spannen ihre Netze aus, es werden weniger Fliegen, lange Staubfäden verfängt sich in den Netzen, wenn es demnächst regnen sollte, müssen wir wieder einmal den Besen schwingen.

Das alles ist nichts besonderes, geschieht heimlich, still und leise, aber mir, der es selbst erlebt hat, mir bedeutet es viel und es tut gut, es irgendwie hier festzuhalten, denn meine Fotos sind wohl noch schlechter als die Texte.
 
Mo, 18.09.2006 |  # | (486) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Sonntagslethargie

Um sechs machten wir die Augen auf, sahen in die Ferne und konnten nichts als strömende Bäche aus dunklen, grauen Wolken erkennen. Wir legten uns wieder ins Bett, um bereitwillig in einen ebenso grauen Schlaf zu fallen, alle.
Später. Auch der Gang zum Bäcker brachte nichts neues, außer vielleicht ein paar Brötchen, aber die waren im Prinzip auch nicht neu, nur frisch gebacken. Seit Monaten jeden Tag die gleichen Wege. Man hat keine große Auswahl, wenn man vom immer vom gleichen Start mit dem immer gleichen Ziel ins Rennen geht. Mal versucht man es über B, dann über C, später über D, allerdings kann man morgens keine Tagestouren daraus machen, es sind nur Brötchen zu holen, die hungrige Meute wartet zu Hause und der Regen strömt immer noch in Massen. Lethargie.
Ein bisschen im Kinderzimmer wüten, interessant, dass schon die kleinsten an grausamen Schlachten interessiert sind. Haufenweise liegen Ritter im Hof der Burg, es heißt, die hielten Ritterspiele ab und "möge der Beste von euch gewinnen". Irgendwann las ich mal, dass dieses Schauspiel normal ist, Konflikte werden so ausgetragen, im Spiel, das Kinderspiel wurde ausführlich analysiert, man soll sich nicht belehrend einmischen, sondern mitmachen, Wege aufzeigen, so geht das also, mit dem lernen. Wieder was gelernt. Müssen wir uns denn überall einmischen? Draußen regnet es in Strömen. Stille.
Die Kinder erholen sich von den grausamen Schlachten und hören dabei Winnie Pooh, sozusagen ein kuschelnder Ausgleich. Die Liebste erholt sich im Entspannungsbad, epiliert und duscht und liest den neuesten Quark, ich liege auf der Couch und bekomme nicht einmal das Notebook aufgeklappt, außerdem verweigert es sich, mal wieder. Etwas Neues muss her, nicht der trendigste Quark, allerdings auch nicht der billigste Scheiß. Jahre soll das alles halten, ich frage mich, ob die Eltern immer noch diese ultraschwere Schreibmaschine im Keller haben, die mich immer so nett angelächelt hat, auf der ich stundenlang lustlos herumgetippt habe, weil mich allein die Tasten so fasziniert haben, nicht die Tatsache, dass es so einfach ist, Gedanken aufzuschreiben, einfach drauf los zu tippen, um am Ende festzustellen, dass ein paar Gedanken dabei heraus gekommen sind, die weiter gedacht werden könnten. Damals fehlte es mir an Tiefe, würde ich heute sagen, an diesem lethargischen Sonntag gibt es zuviel davon. Marathon im Fernsehen. Ich sollte Marathon laufen, allerdings würde ich nach fünf Kilometern anfangen zu denken, so richtig tief, um die Schmerzen im rechten Bein, in der Schulter, am unteren Rücken und in der hintersten Ecke der Lunge zu vergessen, würde mich dabei verhaspeln und einen viel zu langen Gedankenstrang produzieren, so wie jetzt gerade. Draußen regnet es in Strömen.
Am Abend hört es auf zu regnen, ein paar Schritte, ein paar Sprünge in tiefe Pfützen, wieder ist ein Tag vergangen, man lebt doch nicht nur, um Tage zu verbringen? Umzubringen? Kann man Tage umbringen? Ist man ein Mörder, wenn man einen Sonntag lang fast gar nichts tut, man sich selbst fesselt und die Zeit vertrödelt? Die Kinder sind müde, sie haben auch schwer geschuftet, leicht zu erkennen am Kinderzimmer, in dem sich nicht nur gefallene Ritter stapeln, sondern auch Piratenschiffe, die sich auf die Suche nach versunkenen Schätzen gemacht haben, ohne Erfolg, bisher. Zwischendurch brannte das eine Schiff, weil Römer es böserweise in Brand gesteckt hatten, mit einem Katapult und Pech und Schwefel, die schlimmen Römer, und dann kam die Feuerwehr mit ihren langen Schläuchen und am Ende feierten alle ein Fest, Ritter, Piraten, Römer, Feuerwehrleute und Politzisten, ja, auch die Cowboys und Indianer durften nicht fehlen. Was für ein Tanz.
Draußen ist es dunkel geworden, im orangenen Licht der Straßenlaternen sieht man ersten Nebel aufsteigen, die Gehwege sind wieder trocken, obwohl es den ganzen Tag geregnet hatte, ein letzter Blick zu einem schrumpfenden Mond und dann ein tiefer Schlaf, mit wachen Träumen vom anhaltenden Regen.
 
Mo, 14.08.2006 |  # | (1065) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Kolja und die Russischschule

"Bufflon....Bufflon....Herr Bufflon?"
"Ja? Sorry, war grad mit den Füßen im Pool."
"Urlaub is noch nicht. Hören Se mal lieber dem da zu, der erzählt wat vom Pferd."
Das stimmt, erzählte er, total enthusiastisch, war aber kein schlechtes Pferd, so insgesamt, alle haben genickt und ich auch und mitgeredet und gleichzeitig ne tolle Strategie ausgedacht, für die Pferde, die dann aber mündlich noch nicht so richtig auf den Punkt gebracht. Bin eben kein Wunderkind, kann zwar viel schreiben, aber nicht so viel reden und das liegt nicht nur an meiner für Dauerreden ungeeigneten Stimme. Aber dafür hab ich ja zehn Finger. Gleichzeitig dachte ich auch ans Bloggen, ich träumte ja vor kurzem, dass ich wie ein Wilder durch die Gegend gerannt bin, auf der Suche nach nem Gesicht und der Große hat mir dann eins auf dem Spielplatz gezeigt, aber war ja nur nen Traum. Beim Denken dachte ich so, ob ich nun erzählen sollte, dass ich Klassenclown war und sechs Mal sitzen geblieben bin und mich trotzdem immer noch durchgewurschtelt habe, aber das ist ja die unglaubwürdige Version. Die andere gibts hier.
 
Do, 10.08.2006 |  # | (580) | 18 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Zeitungsabo-Verschenker werden immer aggressiver, die finden keinen Dummen mehr, an den sie ihre Zeitungsabos verschenken können.
Ne junge Dame, wenig bekleidet, stürzt mit Zeitung bewaffnet auf mich zu:
"Wollen Se, wollen Se, wollen Se, schenk ich Ihnen."
"Nee, lassen Se mal."
"Kommen Se, is umsonst."
"Brauch ich nicht."
Aggressives Vorchecking, ran an den Mann und flux die Zeitung in die Fäuste drücken. Nee, das geht bei mir nicht und dann ist sie auch noch sauer. Kam zum Glück der nächste Typ gleich hinter mir, dem sie das auf die gleiche Art andrehen wollte. Harter Markt. Da sind mir die "Straßenfeger"-Verkäufer lieber, da nehm ich auch mal ab und an eine. Ist aber nicht umsonst.
 
Di, 08.08.2006 |  # | (390) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Wo ist eigentlich der Sommer hin?

Lieber schwitzen und in schlabbrigen Flip-Flops rumrennen, als mit Regenschirm und Socken in den Schuhen. Interessant allerdings, was man mit einem Stöckchen und einem rosa Hemdchen, dass allerdings ganz unauffällig ist, so anstellen kann. Ich bau grad schon mal meine Theke auf und erzähle die erste geheime Blogger-Bar-Geschichte aus der Reihe "Leben, die sonst eh keinen interessiert hätten". Von damals noch, als ich Nicht-Blogger war und ein echtes Leben hatte. ;-)
 
So, 06.08.2006 |  # | (704) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Ein Leben im Aquarium

Ist das Leben langweilig? Sonntag früh, ich hab mir mal wieder das halbe Gesicht in Fetzen geschnitten, gerade heute, na ja, egal. Ok, ist das Leben langweilig? Es kommt drauf an, ich kenne Leute, die diesen Satz "Es kommt drauf an." täglich drei- oder viermal benutzen. Das ist absolut langweilig, wenig überraschend.
Im Vergleich zu James Bond ist mein, nein, unser Leben absolut irre langweilig. Obwohl, der ist nur ausgedacht, der Bond, und deswegen gibt es den ja gar nicht, der hat gar kein Leben, das ist doch mal wirklich langweilig. Andere Stars? Deren Leben muss teilweise grenzwertig langweilig sein, wenn man nichts anderes zu tun hat, als sich in Botox, Silikon und Koks zu suhlen. "Ach, schau mal, das diamantene Geschmeide trallalla." Ist das nicht langweilig?

Insgeheim bin ich nicht nur unprofessioneller Geschichtenaufschreiber, sprich Blogger, sondern auch ein Wolfgang Petersen oder ein Quentin Tarantino oder ein Steven Spielberg für Arme. Aber nur ganz heimlich. Und deswegen habe ich versucht, diese blutverschmierte Sonntagmorgenfrage in eine spannende Dokumentation zu quetschen. Mag sich bitte jeder selbst ein Bild machen.

Ein Leben im Aquarium

 
Mo, 31.07.2006 |  # | (509) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Im Garten mit B.

Sie tanzen wieder, als wäre nichts gewesen, auf Fritz läuft wieder das Loveradio und ab und an, wenn man mal zufällig reinschaltet, wippt der linke Fuß zum Beat, heute geht das mal. Man gibt sich Einfachheiten hin. Unkraut wird kurz und schmerzlos aus dem trockenen Boden heraus gerissen, die langen Arme der Zierkürbisse im Garten verteilt, im Herbst kann man die Dinger sicherlich gewinnbringend verkaufen, so viele Kürbisse braucht doch kein Mensch allein, man isst gezuckerte rote Johannisbeeren mit diesem typischen bitteren Nachgeschmack, während in den Nachrichten Bilder brennender Häuser vorbei huschen, darf man so das Leben genießen? Sollen wir uns alle duzen, fragt die BILD, so ein Schmarrn.
B. würde ich gerne wieder ein "Sie" anbieten, obwohl ich in noch nie gesiezt habe. Trotzdem. Es würde vieles leichter machen, ich könnte einfach und unverbindlich sagen: "Lassen Sie mich mit Ihrem Unsinn in Ruhe.", vielleicht käme das ja bei ihm an, evtentuell auch ein dezentes "Sie Arsch.", denn ein "Du Arsch." klingt zu unverbindlich, eher witzig, kann nicht ernst gemeint sein.
Warum? Ganz einfach, B. ist ein Mensch, der entweder schon alles erlebt hat oder, sollte dies ausnahmsweise mal nicht der Fall sein, jemanden kennt, der etwas genau so und nicht anders durchmachen oder erleben musste oder durfte oder konnte. "Bandscheibenvorfall? Da kenn ich einen und so." Ich fange an zu erzählen, B. nimmt das gern als Aufhänger, erzählt seine eigene oder eine geklaute Geschichte, eine wirklich Unterhaltung kommt nicht zustande, Monolog mit freundlichem Nicken. Ich bin ja höflich, noch. Manchmal erinnert er mich an dieses Mädel aus American Pie, die ständig quatscht und immer dieses "Also damals im Pfandfindercamp und und und.", vielleicht versteht jemand, was meine.
"Du hast aber abgenommen."; "Mensch, bist du schön schlank geworden."; "Oho, bist du schön dünn." Es interessiert ihn nicht, dass seine Frau daneben steht, wenn er Komplimente an Damen verteilt, die keine echten Komplimente sein können, weil er wieder mal nicht zugehört hat, ein anderer nicht ausreden durfte, weil er selber seine uninteressante Story an die Frau bringen musste, deplaziert, ohne Mitgefühl. Es gibt Gründe, die sich aus der Erzählung ergeben, die einfach nicht schön sind, er hätte besser mal nichts gesagt, den Kommentar in sich hinein gedacht, meinetwegen, einfach nur zugehört, ein klein wenig drüber nachgedacht, sich aus Anstand auf die Zunge gebissen. Das kann er nicht.
Der Höhepunkt kommt beim Wässern der Gartenanlage. Ein schönes Gefühl, wenn man den trockenen Boden mit diesem feinen Wassernebel benetzt, die Luft reinigt, der trockene Staub mit dem Wasser verschwindet, der Duft feuchter Erde mit dem ganzen Grünzeug, dass sich nach oben reckt und erfrischt aufatmet, mein Lieblingsaugenblick am Abend. B. erzählt von globalen Verschwörungstheorien, Illuminaten, dem absichtlich gesprengten World Trade Center ("Noch nie ist ein so hohes Gebäude nach einem Brand eingestürzt." Ich antworte: "Noch nie vorher sind zwei vollgetankte Flugzeuge mit hoher Geschwindigkeit solche Gebäude gekracht, (Sie Arsch)."), ich langweile mich nicht mehr nur, sondern werde langsam wütend. Der Schlauch muss dran glauben, ich zerre ihn durch den Garten, der Schlauchwagen kippt um, am liebsten würde ich jetzt gern zutreten, also gegen den dummen Schlauchwagen, der den Schlauch immer festhält und nicht locker lässt, genauso wie B. Ich kann mich zügeln, sage nur, dass Verschwörungstheorien mich langweilen, soll man doch dran glauben, wie die Menschen in der Steinzeit an irgendeinen hammerschwingenden Gott, der ein Gewitter mit seinem Hammer verursacht, den er ordentlich durch die Luft fegt, um die bösen Trolle zu vertreiben, anders können sie sich Gewitter nicht erklären, von der Edda hat er auch kurz erzählt. Ich will das alles nicht glauben. Danach Schweigen, man hört nur noch das Wasser plätschern, zum Glück ist es spät, B. und Anhang gehen, ich umarme seine Frau und würde ihm am liebsten zum Abschied sagen: "Machen Sie es gut, es war nett, sich mit Ihrer Frau zu unterhalten." Aber ich bin höflich.
 
Mo, 17.07.2006 |  # | (374) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Letzter Fußballabend

Ein etwas dicklicher Mensch, wollig behaart, gebrechlich wirkend, lässt sich ächzend in einen Rattansessel von Ikea plumpsen, ein grazile Menschin gleitet elfenhaft über den Boden und landet sanft im frei stehenden Sessel daneben.
"Kannste mir noch meine Tabletten bringen?" "Ach, alter Mann. Solange ich dich nicht windeln muss." "Später. So in Fünzig Jahren. Aber wozu haben wir denn Kinder?" "Hihihi."
Anpfiff. Er ist etwas unschlüssig in allem.
"Für wen sind wir denn eigentlich?" "Mir doch schnurz wer gewinnt." "Ich bin für Frankreich, warum auch immer. Vielleicht wegen meiner schwachen vier in französisch. Und Nora." "Du wieder. Nora. Spaziergang in Versailles oder was? Und mit mir nur am Gardasee?" "Vielleicht sollt ich ja doch für die Italiener sein." "Ist mir doch wurscht."
Tor für Frankreich. Kein Jubel, entfernt ein paar Knaller. Er findet Zidane überheblich.
"Boah. Jetzt muss der auch noch mit denen spielen. Ich glaub ich bin jetzt für Italien." "Kannste mal nen Wein holen?" "Ich darf doch kein Alkohol." "Na und?"
Er schleppt sich durch die Wohnung und grummelt irgendetwas unverständliches in seinen Drei-Tage-Bart.
"Ich hab mal den italienischen genommen. Vielleicht werden die ja Weltmeister." "Für wen biste denn jetzt eigentlich?" "Ich weiß nicht. Für die besseren?" "Langweilig. Leg dich doch mal fest. Kannste nicht, wa?" "Übrigens hat der Kleine Fieber. Wir sind bestimmt so eine Zuchtanstalt für neuartige Viren. Stecken uns immer brav gegenseitig an und werden nachts gemolken." "Iiieehhh."
Beide lachen, Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
"Ich weiß jetzt, ich bin für die Italiener. Die haben wenigstens nen Bufflon im Tor." "Der heißt Buffon, alter Mann, ohne L."
Sie schnalzt dabei mit der Zunge, er ist ein wenig überrascht.
"Menno. Vier Wochen lang wollte ich schon jubeln, weil es endlich mal ein Bufflon zur WM geschafft hat und jetzt das. Zum Glück hab ich noch nix geschrieben."
Tor für Italien, der Italiener um die Ecke jubelt wie wild, die beiden Protagonisten ziehen sich vom Spiel langsam zurück, er liest alte TAZ-Artikel, sie malträtiert einen Sudoku-Block. Im Haus nebenan schreit eine Mutter ihr Kind an und schließt die Tirade mit einem "Scheiß Kind." Soll man nun lachen oder weinen?
"Kuck dir den Zidane an. Jetzt bin ich endgültig für Italien, dass kann man doch nicht machen, egal was der Italiener über ihn und seine Mutter gesagt hat, als Weltstar lässt man sich nicht so provozieren." "Der ist doch doof, wie können einem im letzten Spiel so die Sicherungen durchgehen." "Der wollte unbedingt gewinnen, jetzt wird Italien Weltmeister."
Elfmeterschießen, der oft geforderte Trezeguet scheitert mit einem Zidane-Nachmacher-Schuss, Italien ist Weltmeister.
"Gähn. Zum Glück war ich für Italien, dann muss ich jetzt nicht mal enttäuscht tun." "Ich geh ins Bett." "Und was machen wir morgen abend?" "Nur lesen, vielleicht? Oder schlafen? Verliebt in Berlin?" "Ist die jetzt wirklich schon vorbei, die WM?" "Ja, endlich." "Schade, hat Spaß gemacht."
 
Mo, 10.07.2006 |  # | (433) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Alltag, fast jeden Tag

Jetzt hat sie doch die letzten kleinen Scheine bekommen, die alte Dame an der Klagemauer, die nur einen winzigen Tick schneller war als ich. Für mich bleibt nur wieder der große Schein übrig, ein Fünfziger, da wird der Bäcker morgen früh sich wieder freuen: "Hasse nich noch größer?" Sorry, die Fünfhunderter waren grad aus. Schon damals, in der guten alten De-Mark-Zeit, wie so manche sagen würden, holte ich im selben Rhythmus die "Fuffis" ab, an der Klagemauer, alles wird teurer, trotzdem genießt man das Leben, solange kein Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.
"Mach hinne, die Bahn kommt. Jetzt, gleich." - Warum hetzt man die ganze Zeit durch die Gegend, als würde der Teufel hinter einem her sein? Bekomme ich die Bahn jetzt nicht, ist das auch egal, in zehn Minuten kommt die nächste. Man könnte sich in Ruhe an die Haltestelle stellen, das Buch auspacken, ein wenig darin blättern, einen guten Eindruck machen, sich an das Geländer stellen und träumen, den Wolken beim vorbeiziehen zu schauen, in sich kehren und zu sich finden. Nein, man hetzt von Haltestelle zu Haltestelle, rennt den freien Sitzplätzen hinterher, als ob man nicht auch einmal eine halbe Stunde stehen könnte, rempelt herumstehende Menschen an, lässt sich anrempeln, eine komische Atmosphäre, doch hier kommen die meisten und besten Gedanken. Das ist doch absurd.
Die Tür geht auf und man erkennt sofort die drei nervigsten Ausdünstungen der anwesende Fahrgäste, die heutige Fahrt wird eine Qual, olfaktorisch gesehen. Würde es mit Klimaanlage besser sein?
Der erste Duft kommt ganz klar aus ganz linken Ecke. Ich würde sagen, Vollbad in Hugo Boss, ich kenne das, ich war auch mal so, in meinem pubertären Wahn badete ich förmlich in toll riechenden Essenzen, fühlte mich unglaublich erwachsen, unwiderstehlich und kam erst auf den Boden der Tatsachen zurück, als mich eine angebetete Dame darauf hinwies, dass ein Vollbad in Hugo Boss auch keinen schöneren Menschen aus mir mache. Schade.
Die zweite Duftnote ist etwas dezenter, kaum zu erkennen und schwierig einzuordnen. Ich tippe mal auf Billig-Polyester-Anzug mit entsprechendem Hemd und Krawatte, für 25 Euro bei Kick, die Träger irgendwo und gut verteilt in der Bahn. Die meisten können dafür nichts. Männer, die in solchen Plastiktüten rumrennen, wissen das wahrscheinlich gar nicht, ich wüsste es auch nicht, die Sache mit dem automatisch rinnenden Schweiß und dem gleichzeitig entstehenden stechenden Geruch. Auch trage selten Anzüge, was mich in einigen Situationen schon zum Rebellen gemacht hat, der ich gar nicht bin. Diesen Geruch kann man überleben, wenn man weit genug vom Epizentrum entfernt ist, ich bin es und freue mich.
Der dritte Geruch, unangenehm und schwer zu beschreiben, erinnert mich an meine Großmutter, die ihre letzten Jahre in einem Dämmerzustand zwischen wach und weggetreten fristen musste, kein schöner Anblick, der langsame und unaufhaltsame Verfall, die immer öfter wiederkehrenden Aussetzer, die ständigen Verwechslungen von Namen und Gesichtern, Verwirrung und am Ende wünschten ihr alle eine sanfte Erlösung. Traurige Erinnerungen, nicht schön, aber sie sind immer da, niemand wird vergessen, auch wenn er schon längst nicht mehr da ist, man freut sich über die schönen Stunden, die man gemeinsam verbracht hat, die Qualen die man zusammen gelitten hat, es brennt ein wenig in der Brust.
Es gibt noch viele andere, versteckte Gerüche, tausend andere kleine Erinnerungen werden geweckt, ich muss umsteigen, zur nächsten Bahn hetzen, einen Sitzplatz ergattern, das Buch auspacken und die nächsten Seiten verschlingen, dann bin ich in meiner Welt, ich höre nichts, rieche nichts und sehe nichts anderes, als wäre ich ganz allein in der Bahn, ganz für mich allein. (An dieser Stelle vielleicht ein kleiner Tipp zum Thema "Gerüche" und so: Patrick Süskind, Das Parfum.)
Der Abendhimmel meint es nicht gut mit uns, dass kennen wir, trotzdem sind wir bester Laune, er kann uns nicht ärgern, wir ziehen unsere Stiefel an und durch, selbst wenn es jetzt regnen und stürmen sollte, wir werden trotzdem unseren Spaß haben. Ein paar Getränke, tiefe Blicke in die Augen, Ernsthaftigkeiten und Lächerliches, ein leises Lachen, ein paar Grinser und am Ende eine vielleicht unnötige Frage: "Bist du glücklich?" Die Antwort ist einfach und trotzdem ein wenig überraschend: "Ja und noch glücklicher, wenn Deutschland Weltmeister wird." Dann wird das aber nichts, mit dem Alltag, vorerst.
 
Mi, 28.06.2006 |  # | (361) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

"Ole, ole, ole." und am Ende Rückenschmerzen.

Früher waren die Geburtstagsfeiern bei Murmel und Bohnenstange immer der Knaller. Anwesende männliche Wesen ließen hochprozentiges in Massen fließen, um spätestens gegen Mitternacht völlig zu entgleisen, ungezügelt und ohne sich später daran erinnern zu können. Natürlich sehr zum Leidwesen der anwesenden Damen.

Murmel ist ein ehemaliger Sportler, übrig geblieben ist davon wenig, inzwischen ist er so hoch wie breit, einssechzig, Tendenz steigend und geht trotzdem seinen beiden liebsten Passionen nach: Essen und Trinken. Selbst seine jahrelange Freundin schaut ihn nur noch angewidert an, eine Umstand, der ihn rein äußerlich in keinster Weise beunruhigt. Komisch. Bohnenstange ist die ideale Ergänzung zu Murmel. Man munkelt, sie hätten gemeinsam zwei bis drei Firmen im Immobiliendschungel Berlins aufgebaut, Bohnenstange wäre der Chef und Murmel sein Fahrer. Allerdings munkelt man nur, denn eigentlich benehmen sie sich, als wäre es umgekehrt. Seine Passionen sind neben den Damen, eine Sache, die seine langjährige Freundin überhaupt nicht zu interessieren scheint, ein außerordentlich gut befüllter Grill und ebenso außerordentlich gut abgefüllte Gäste. Letzteres hatte ich vor Jahren an mir selbst erleben dürfen, die Büffelin sprach knapp zwei Wochen nicht mit mir, erinnern konnte ich mich an nichts.

Kurz vor Anpfiff. Der Garten strahlte in schwarz-rot-gold, in der Mitte ein kleiner Pavillon, die versprochene Leinwand gab es nicht, Mist, zum Glück hatte das 14"-Notebook einen Videoausgang, so dass man wenigstens die Glotze anschließen konnte. Die nicht fußballinteressierten Gäste saßen gelangweilt und mürrisch an der Tafel rum und ließen sich riesige Berge gegrillten Fleisches mehr oder weniger gut schmecken, Bohnenstange hatte ganze Arbeit geleistet, Tonnen von Fleisch besorgt und schon in der Mittagshitze mit dem Grillen angefangen, damit die mürrischen Fußballablehner ja nicht meckern können, weil sie immer den Mund voll haben. Dazu noch ein ordentliches Fässchen Bier, Kasten war früher, und die Gäste waren versorgt. Leider sahen die das nicht so, sparten nicht an Kommentaren wie: "Diese ganze Fußballkacke geht mir aufn Sack." oder "Fußball ist doch nur was für minderbemittelte Unterschichtenprolls." oder "Wo bleibt eigentlich die geistvolle Unterhaltung?". So sprachen sie und verzogen sich schnell in ihren deutschen Mittelklassewagen in ihre Mittelklassewohnungen oder Mittelklassehäuser um dort bei Chips und noch einem Fläschchen Bier die neueste Folge von "Hausmeister Krause" zu sehen. Das ist geistvolle Unterhaltung.

Die richtigen Fans waren die Absahner. Extra-Bierfässchen, leckere Fleischspieße (mit der furchtbar leckeren Knoblauchwurst, die einem am nächsten Morgen einen furchtbar trockenen Mund macht) und Kräuterschnaps in rauhen Mengen, leider gab es nicht genügend Sitzplätze, aber "Ole, ole, ole." und jubeln geht ja auch im Stehen. Bohnenstange war in seinem Element. Er war so sehr mit Grillen und Abfüllen beschäftigt, dass er kaum das Spiel verfolgen konnte. Ich auch nicht, denn Minikind war der Meinung, ständig in das halbfertige Haus rennen zu müssen, es fehlten hier und da noch Treppengeländer, ein full-time Job für Papi. Später merkte ich, dass mich die verpassten Tore nicht mal interessierten, interessante Erkenntnis. So ging das Spiel an mir und Bohnenstange vorbei, ich rannte dem Mini hinterher, er dem Sohn vom Nachbarn, sein neustes Opfer in Sachen "Oberkante Unterlippe", gegen elf hatte er gewonnen, der Nachbarssohn ging danieder. Traurig.

Kurz nach Mitternacht torkelten die letzten übrig gebliebenen Fußballjünger von dannen. Um Maxikind entbrannte ein erbitterter Streit zwischen den anwesenden jungen Damen im Alter zwischen vier und neun. Wer darf ihn mit nach Hause nehmen? Wir gewannen, vernünftig ist er ja, noch. Leider wollte er nicht laufen, darum packte ich mir die zwanzig Kilo auf die Schulter, eine schlechte Idee, insgesamt gesehen, denn der gesamte Rücken ist heute immer noch steif wie ein Brett, schnell zum Mannschaftsarzt und den Physiotherapeuten, damit ich am Mittwoch wieder spielen kann. Ach nee, bin ja gar nicht Ballack. Auf dem Heimweg trafen wir noch kurz den Tod, in einen langen schwarzen Mantel gehüllt, Kapuze auf, aber ohne Sense, gruselig. Er schwebte förmlich über dem Boden, wild entschlossen, wir hofften die ganze Zeit, dass er sich nicht umdrehen würde und wir in seine rotglühenden Augen blicken mussten. Er tat es nicht. Trotzdem ging der Rest des Wochenendes in die Hose. War wohl ein schlechtes Omen. Mist.

Togo wird übrigens Weltmeister. Die bieten doch bisher das beste Showprogramm am Rande des Spielfelds, find ich.
 
Mo, 12.06.2006 |  # | (410) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 



pixel pixel



(geborgt bei flickr)


Online seit: 08.02.2006
Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57


Links:

... Home
... Blogrolle (in progress)
... Themen
... Impressum
... Sammlerstücke
... Metametameta

... Blogger.de
... Spenden

Archiviertes:

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 


Suche:

 









pixel pixel
Zum Kommentieren bitte einloggen

Layout dieses Weblogs basierend auf Großbloggbaumeister 2.2

pixel pixel