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Lesereise

Zurück im Feld der Steine. So fühlt sich das also an. Erstaunen. Die Luft ist kühl, am Himmel pflügen riesige Supertankerwolken durch das blaue Meer und verpesten die Luft mit grauen Abgasen. Komisch, in einer Stadt ankommen, in der sich Millionen Touristen gegenseitig auf die Füße treten, so wie man sich gerade noch selbst irgendwo auf die Füße treten lassen musste, Myriaden Wissbegieriger strömen mit Stadtplänen bewaffnet durch staubige Straßen, Menschen erkunden stinkende Eckchen auf wackeligen Fahrrädern, vorne weg verschiedensprachig murmelnde Scouts in hippen Mitte-Outfits, im McDonalds an der Ecke sitzt ein Familie, alle ruhen ihre Beine aus, Burger und Pommes mampfend, alles heiß und fettig, schmeckt wie überall, also vertraut, wie beim Starbucks, in dem man ja auch immer auf das gleiche Angebot zurückgreifen kann und gegenüber dann der Fernsehturm, der auch noch zu besteigen ist, touristischer Höhepunkt mit direktem Blick auf die Hässlichkeit der Bauten rund um den Alexanderplatz. Eine neue Bauordnung soll hier demnächst Abhilfe schaffen, als komme es auf ein Luftschloss mehr oder weniger noch an. So ist das hier wie dort und trotzdem fühlt man sich hier heimischer als dort, obwohl dort die Ecken eher weniger schmutzig erschienen als hier, aber hier ist nunmal der Ort, den zu verlassen man nicht gedenkt, das nicht für möglich hält, was hält mich hier? Was hält uns hier?

Erinnerungen lege ich gerne bittersüß in Melancholie ein, das geht auch gar nicht anders, etwas passiert, man erlebt es und wenn man Tage, Wochen, Monate später darüber nachdenkt, womöglich diese Gedanken aufschreibt und zerlegt und vielleicht auch ein bisschen ausmalt oder ausschmückt, romantisiert und sich nur noch an die merkenswerte Essenz erinnern möchte oder kann, dann kann doch nur die Melancholie die Tatsache, dass Dinge, die geschehen sind, nicht mehr verändert, vermieden oder noch einmal erlebt werden können, erträglich machen. Und irgendwann, mitten in der Nacht, denn die Gedanken rollen doch immer noch am besten, wenn es kühl und dunkel ist und Natriumdampflampen einem die Sinne täuschen, ohne sie zu vernebeln, dachte ich daran, wie wenig Zeit man doch für Träume, kleine Geschichten, ein paar ausgefallene Hirngespinste verschwendet, wie sehr man sich doch mitreißen lässt, vom Strom des Unvermeidbaren, vom Leben, das einen packt und nicht mehr los lässt, es sei denn, man bricht dann mal aus, hier und da und bestaunt den Alltag mit unglaubigen Augen, ja, viel zu selten läuft man einfach nur so über leeren Straßen und denkt an alles mögliche, nur nicht an das hier und jetzt.

Lesen Sie dazu meinen derzeitigen Favoriten, neben dem die anderen drei Bücherchen inhaltsleer und langweilig erscheinen, ein bestsellerisches Schattendasein führen, mitten im Rampenlicht.

[Amos Oz - Eine Geschichte von Liebe und Finsternis]
 
Mo, 15.09.2008 |  # | (685) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lesereise


lac   (16.09.08, 14:41)   (link)  
eine kleine zeit schon her, das ich das las - und nicht aufhören konnte, bis ich mich durchgegessen hatte.
ein buch für alle sinne, da es schwingt und antreibt, in allen anderen tätigkeiten , neben dem lesen.
(ich dachte , er muß sich zum schreiben auf einen anderen planeten niedergelassen haben, um diese draufsicht, verknüpft mit geschichtlichem, familär-intimen, philosphischem, politischen, und so fort, in einem bogen zu schreiben)


cabman   (17.09.08, 11:20)   (link)  
"...wie wenig Zeit man doch für Träume, kleine Geschichten, ein paar ausgefallene Hirngespinste verschwendet, wie sehr man sich doch mitreißen lässt, vom Strom des Unvermeidbaren, vom Leben, das einen packt und nicht mehr los lässt,..."

Wie traurig und zugleich erbaulich diese Erkenntnis ist und wie wahr. Sehr schön geschrieben. Wie immer!











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Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57


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