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Monolake, 1997.
 
Do, 11.09.2008 |  # | (467) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: musik und so



 

Lesereise

Ich bin immer noch weg, sitze auf einer Mauer, auf einer langen Stadtmauer, gelbe Steine, Felsen, naturbelassen, heiß, trocken, staubig, Jahrhunderte alt. Auf der rechten Seite stehen eine alte Kirche und ein Minarett friedlich nebeneinander, unter dem Minarett leuchtet eine blau gestrichene Kuppel, ein typisches und unvergleichliches Blau, kein zartes Himmelblau, auch nicht das dunkle Blau des Meeres auf der linken Seite, nein, es ist das Abbild des Himmels über mir, tief und weit. Auf dem Meer ziehen ein paar Schiffe, in der Ferne große Felsen, Berge, spärlich mit Bäumen bewachsen, unter mir Straßenlärm, hupende Autos, schimpfende Fahrer, kleine Motorroller flitzen durch enge Gassen, die Liebste reicht mir ein Wasser, das wunderbar süß schmeckt, süß und erfrischend, denn ich habe Durst, schrecklichen Durst und eine ausgetrocknete Kehle, durch die jetzt das süße, kalte Wasser rinnt und langsam irgendwo in den Weiten des Körpers verschwindet, verdampft und neue Energie freisetzt. Hier bin ich zu Hause, denke ich, bin ich hier zu Hause? Ja und nein, nein und ja, hier scheint alles möglich.

Später dann reicht mir jemand ein Buch. Hier, ein Buch, das musst du unbedingt lesen, sagt der jemand, hoher Skandalfaktor, muss man mitreden können. "Feuchtgebiete", denke ich, das passt doch gar nicht hier her, hier gibt es doch kaum Wasser, na gut, ein bisschen Meer, aber sonst nichts, nur Trockenheit und Hitze und was soll das überhaupt, frage ich, nur um mitreden zu können? Trotzdem fange ich an zu lesen. Ich lese. Ich lese immer noch. Zwischendurch höre ich auf, schlage das Buch zu, wische mir den Schweiß von der Stirn, der Schweiß, der überall hin und lang rinnt, dicke Tropfen in langen Reihen, marschieren über den ganzen Körper und tatsächlich entsteht so ein menschliches Feuchtgebiet, ja, hier könnte ich also ein wenig von der Memelschen Hygieneartistik an mir selbst erleben, einen kleinen Teil nur, wenn ich denn wollte, aber ich will ja gar nich und frage mich deshalb auch: Was soll das? Ich bin ratlos, aber nicht schockiert. Und niemand kann es mir erklären. Was ist eigentlich mit der Mutter und was ist mit dem Vater, das frage ich dann, nachdem ich das Buch bis zum Schluss ertragen habe, ja, was ist mit denen denn? Das interessiert mich ja mehr als blutige Fressen und blutige Tampons, die hier notwendig sind, um mich in einen angeblichen Skandal zu schubsen. Das weiß natürlich keiner. Am Ende wieder keine Substanz, keine Entzückung, kein aufleuchtendes Lämpchen hinter der Stirn, ich bin nicht bestsellerkompatibel. Drei gut gehende Schinken aus dem Bestseller-Regal haben am Ende gar nichts bewirkt, nur der Zeit-Eisblock ist geschmolzen, weniger als die Hälfte ist noch da, vielleicht sogar nur noch ein Drittel oder nur noch ein Viertel, jetzt aber schnell, schnell.

[Charlotte Roche - Feuchtbebiete oder auch Ich will mein Häusel schmecken!]
 
Mi, 10.09.2008 |  # | (461) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lesereise



 
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