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Letzter Fußballabend

Ein etwas dicklicher Mensch, wollig behaart, gebrechlich wirkend, lässt sich ächzend in einen Rattansessel von Ikea plumpsen, ein grazile Menschin gleitet elfenhaft über den Boden und landet sanft im frei stehenden Sessel daneben.
"Kannste mir noch meine Tabletten bringen?" "Ach, alter Mann. Solange ich dich nicht windeln muss." "Später. So in Fünzig Jahren. Aber wozu haben wir denn Kinder?" "Hihihi."
Anpfiff. Er ist etwas unschlüssig in allem.
"Für wen sind wir denn eigentlich?" "Mir doch schnurz wer gewinnt." "Ich bin für Frankreich, warum auch immer. Vielleicht wegen meiner schwachen vier in französisch. Und Nora." "Du wieder. Nora. Spaziergang in Versailles oder was? Und mit mir nur am Gardasee?" "Vielleicht sollt ich ja doch für die Italiener sein." "Ist mir doch wurscht."
Tor für Frankreich. Kein Jubel, entfernt ein paar Knaller. Er findet Zidane überheblich.
"Boah. Jetzt muss der auch noch mit denen spielen. Ich glaub ich bin jetzt für Italien." "Kannste mal nen Wein holen?" "Ich darf doch kein Alkohol." "Na und?"
Er schleppt sich durch die Wohnung und grummelt irgendetwas unverständliches in seinen Drei-Tage-Bart.
"Ich hab mal den italienischen genommen. Vielleicht werden die ja Weltmeister." "Für wen biste denn jetzt eigentlich?" "Ich weiß nicht. Für die besseren?" "Langweilig. Leg dich doch mal fest. Kannste nicht, wa?" "Übrigens hat der Kleine Fieber. Wir sind bestimmt so eine Zuchtanstalt für neuartige Viren. Stecken uns immer brav gegenseitig an und werden nachts gemolken." "Iiieehhh."
Beide lachen, Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
"Ich weiß jetzt, ich bin für die Italiener. Die haben wenigstens nen Bufflon im Tor." "Der heißt Buffon, alter Mann, ohne L."
Sie schnalzt dabei mit der Zunge, er ist ein wenig überrascht.
"Menno. Vier Wochen lang wollte ich schon jubeln, weil es endlich mal ein Bufflon zur WM geschafft hat und jetzt das. Zum Glück hab ich noch nix geschrieben."
Tor für Italien, der Italiener um die Ecke jubelt wie wild, die beiden Protagonisten ziehen sich vom Spiel langsam zurück, er liest alte TAZ-Artikel, sie malträtiert einen Sudoku-Block. Im Haus nebenan schreit eine Mutter ihr Kind an und schließt die Tirade mit einem "Scheiß Kind." Soll man nun lachen oder weinen?
"Kuck dir den Zidane an. Jetzt bin ich endgültig für Italien, dass kann man doch nicht machen, egal was der Italiener über ihn und seine Mutter gesagt hat, als Weltstar lässt man sich nicht so provozieren." "Der ist doch doof, wie können einem im letzten Spiel so die Sicherungen durchgehen." "Der wollte unbedingt gewinnen, jetzt wird Italien Weltmeister."
Elfmeterschießen, der oft geforderte Trezeguet scheitert mit einem Zidane-Nachmacher-Schuss, Italien ist Weltmeister.
"Gähn. Zum Glück war ich für Italien, dann muss ich jetzt nicht mal enttäuscht tun." "Ich geh ins Bett." "Und was machen wir morgen abend?" "Nur lesen, vielleicht? Oder schlafen? Verliebt in Berlin?" "Ist die jetzt wirklich schon vorbei, die WM?" "Ja, endlich." "Schade, hat Spaß gemacht."
 
Mo, 10.07.2006 |  # | (365) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 
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