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Aus einem stinknormalen Leben

Der Morgen ist wieder einmal verschneit. November: Schnee. Dezember: Schnee. Januar: Schnee. Februar: Schnee. Das ist doch auch irgendwie normal, im Winter, nehme ich an und schon im Oktober sagte ich ihr, als ihre Haare noch im lauen Herbstwind wehten und die Sonne uns ins Gesicht schien und ein anstrengender, aber doch auch schöner Tag zu Ende ging, dass dieser Winter ganz bestimmt ein richtiger Winter wird, also nicht so ein Popelwinter wie in den letzten Jahren, sondern einer mit Schnee und Eis und Kälte den ganzen lieben langen Tag und noch viel mehr Kälte in sternenklaren Nächten, einer Kälte, die in jeden Winkel kriecht und heftigen Grippewellen und kalten Füßen, denn alles andere wäre doch wohl eine Überraschung. Ich sollte mich mit solchen Prophezeiungen zurück halten, viel zu oft werden sie wahr. Ein Ende der allgemeinen, abgrundtiefen Krisen, die inzwischen schon wieder einen beunruhigenden Grad an Normalität erreicht haben und deshalb gar nicht mehr zu größerem Auf- und Erregungsgehabe in durchschnittlichen Bevölkerungsschichten führen, so wie es stellenweise gefordert wird, kann ich allerdings auch nicht prophezeien, das könnte mir doch gar keiner mehr bezahlen, die Billiarden sind ja sowieso schon weg.

„Ein FAZ, eine Spex und einen Berliner Kurier, bitte.“

Wie immer höflich beim Zeitungsdealer, der gar kein Zeitungsdealer ist, sondern ein stinknormaler Tante-Emma-Laden-Mann, ein Kleinstunternehmer, der in der Zeit der sagenhaften Lottojackpötte zum Lottoscheich des Viertels aufgestiegen ist, ohne je selbst spielen zu müssen, weil Lottospieler kleine Süchtel sind, das sagt ja selbst die Lotto-Gesellschaft, die deshalb auch eindringlich vor der Droge Lottoschein warnt, und ansonsten von fleißigen Rauchern, Zeitungslesern und naschenden Kindern lebt. Scheinbar ganz gut. Er schaute ein wenig komisch. Warum schauen Sie so komisch, fragte ich, er wusste es nicht.

„Keine Zigaretten heute?“
„Nö, lassense mal, das ist doch nicht gut für die Lunge und das Herz und außerdem habe wieder dieses Reißen in der Schulter, Schulter-Arm-Syndrom, da ist mir selbst der Glimmstengel zu schwer und Zeitung lese ich am liebsten auf dem Klo, da kann ich sowieso nicht rauchen.“

Der lachte. Die FAZ ist natürlich keine Zeitung fürs Klo, sondern für den Ohrensessel, den ich leider noch nicht besitze, ich will aber einen. Irgendwann werde ich irgendwo einen ersteigern, auf so einer Auktion für alte Möbel, wenn ich mal Zeit habe, jetzt aber nicht. Dazu brauche ich allerdings noch ein Bücherregal, aber kein normales Bücherregal, sondern eine Kommode mit Glastüren, die habe ich mal auf einem Foto mit Orhan Pamuk gesehen, auf dem Foto saß der Schriftsteller in seinem Schriftsteller-Zimmer und las und hinter ihm stapelten sich unsortierte Büchermengen in einer alten Kommode mit Glastüren, ohne große Schnörkel und Verzierungen und in genau diesem Moment wusste ich, dass auch ich so etwas brauche, für mein Altherrenzimmer, das ich mir einrichten muss, wenn ich ein alter Herr bin. Oder auch schon früher.

Papa, fragte der, der sich an meiner Hand festhielt, als wir den Weg von der U-Bahn zum Olympia-Stadion liefen, spielen die heute auch die Nationalhymne? Nein, sagte ich, das ist heute weitgehend international, heute können nämlich Deutsche, Italiener, Franzosen, Brasilianer, Ukrainer und so weiter Tore schießen, die ganze Welt also, das ist doch toll, irgendwie. Ja. Später dann, Ostkurve, die Sonne ging dann langsam unter und um uns herum lautes Uffta-uffta-tätärä und so weiter, das war schon verrückt. Diese ganzen Menschen, die mit einem herum stiefelten, eine wilde Mischung aus blau-weiß und weiß-rot und in der U-Bahn laberte so eine komische Tante mit einem Schal um den Hals, auf dem ein graues Porträt Phillip Lahm prangte, von asozialen Hertha-Fans, Dorfklub und überhaupt gäbe es ja nur DIE eine wahre Mannschaft, Blafasel, und ich dachte: Genau, deswegen will ich damit nichts zu tun haben, wegen dieser vorverurteilenden Dummheit, dieser Scheuklappenwelt und diesem ganzen bierseligen Gegröle, aber später dann trotzdem aufgesprungen und gejubelt und der, der sich an meiner Hand festhielt dann auch und alle waren irgendwie glücklich, als die Sonne unterging und die Massen das Stadion langsam verließen.


[Dazu noch Sehnsucht nach dem Meer und Marko Fürstenberg hören.]
 
Di, 17.02.2009 |  # | (507) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Wochenend und Sonnenschein

Ein Samstagmorgen ohne Frühstück ist ein verlorener Samstagmorgen, fast ein verlorenes Wochenende, im Prinzip, sollte das ausgiebige Frühstück aus Gründen nicht stattfinden können, sollte man sofort in einen Dornröschenschlaf fallen und nie wieder aufwachen, also spätestens bis zum nächsten Morgen schlafen, der dann sicherlich mit einem ausgiebigen Frühstück gesegnet ist. So begann also dieser Morgen nicht, sondern fiel einfach so vom Himmel herab, denn ein früh gestellter Wecker an einem Samstagmorgen, das ist fast eine göttliche Strafe. Gähn.

Gähnende Gesichter, ein wenig leer und fad, käsig und auch angefressen, mürrisch den Zündschlüssel ins Zündschloss stecken und los geht die Fahrt. Fahren wir lange? Ja, wir fahren lange. Also mindestens, wenn nicht sogar. Schnell verschwindet die Stadt aus dem Blickwinkel, in den leeren Magen hinein gezwungen wird ein Überbrückungsfrühstück, es wird an passablen Brötchen vom Lieblingsbäcker an einem unpassenden Ort gemummelt, man hat den morgendlichen Schock der Frühe schwer verdaut und neigt deswegen zu meditativer Stille, im Radio spielen sie auch nur Mist. Hallo, Land, wir kommen jetzt und der Schnee liegt natürlich dort, wo er hingehört, auf Feldern und in Wäldern, heute Abend wird es regnen, dann ist es auch hier weg, das Weiß, aber jetzt ist es noch da und erfreut den vorbei huschenden Betrachter mit seinem morgendlichen Gräuel. Bei Fürstenwalde tauchen ein paar Hügel auf, es gibt auch eine Stelle an der Autobahn zwischen Dresden und Bautzen, die sieht genau so aus, in meinem nächsten Leben werde ich Landschaftsfotograf, ziehe mit Objektiven gefüllter Tasche durch die einsamen Wälder und wünsche Fuchs und Hase eine gute Nacht.

An LKW vorbei schiebt man den müden Wagen, mit müden Augen, wenigstens scheint die Sonne, dann sieht die Oder-Metropole Frankfurt nicht ganz so grau aus, ach ja, diese großstädtischen Vorurteile gegenüber allem anderen, diese kleinbürgerlichen Bildnisse von der Unvollkommenheit der Dinge außerhalb seines eigenen Dunstkreises, auch ich habe schon einmal Menschen nach ihrem Autokennzeichen beurteilt, nun werfe jemand bitte den ersten Stein. Die Jungs aus Eisenhüttenstadt, nein, ich verkneife mir meine Bemerkung, ich will doch gar nicht so sein, vielleicht sollte man eher hingehen und sagen, aber, man kann sich nicht um alles kümmern. Und während der Ball läuft und unermüdlich gerannt wird, setzt man zur Analyse an, das Spiel, die Menschen, überhaupt alles wird analysiert und eingeordnet, vielleicht kann man es noch einmal verwenden. Später kickt man selbst, immer noch müde und zerknirscht vom falschen Frühstück, lustlos auf dem verschneiten Bolzplatz mit der Zukunft des deutschen Fußballs herum, dahinten irgendwo fließt die Oder, in der gebrochenes Eis schwimmt, große, dicke Eisschollen, die langsam in der Mitte treiben („Bootsmann auf der Scholle“), auf der Brücke steht jemand und macht ein Foto, denn das Licht ist gut und das Motiv sehr winterlich, hinter der Oder liegt Polen und hinter Polen kommt dann eine ganz andere Welt, fern und verschneit und viel Gas in der Erde und in Rohren, das noch mehr Geld bringen soll und da man dort nicht hin möchte, dreht man um, am Wendepunkt und macht sich auf den Weg in Richtung Ende eines Tages, der hoffentlich wacher endet, als er angefangen hat.
 
Di, 20.01.2009 |  # | (390) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Gute Nacht Geschichte

Langsam verschwindet der Schnee wieder aus der Stadt, der hatte hier sowieso nichts zu suchen, Schnee gehört hier einfach nicht hin. All die Stellen, an denen er vor Tagen so sanft und weich fiel, die harten Züge der Stadt ein wenig zarter erscheinen ließ und die dunklen Straßen und Wege mit seinem jungfräulichen Weiß bedeckte, liegen nun gelblich-braun beschmutzt in der Gegend herum. Menschen trampelten auf ihnen herum, Hunde hinterließen ihre vielfältigen Spuren, Autos spritzten dunklen Matsch auf die weiße Decke, wobei man von einer Schneedecke schon gar nicht mehr reden kann, es ist eher ein Schneemassaker, der arme Schnee, dabei kommt hier er doch so selten zu Besuch. Aber, hier gehört er nun einmal nicht hin. Soll er doch auf Felder fallen, die dort draußen ganz unberührt liegen, in der Mark oder meinetwegen auch gleich hinter der Stadtgrenze, soll er doch hohe Kiefern mit seinem zarten Weiß einkleiden und auch die Wege in der Schorfheide, dort wird er in Ruhe gelassen, weder Jubel noch Trubel herrschen, der richtige Platz für seine aufgezwungene Romantik, dort darf er fast unberührt herum liegen. Nein, die Stadt ist kein Ort für Schnee. Er weiß das wohl, darum verschwindet er, auch wenn es immer noch kalt ist und manchmal sogar sternenklar, er geht und was von ihm übrig bleibt, ist schmutziges Grau, Matsch gemischt mit Streusand und Kies, so bleibt zumindest noch das Knirschen unter den Schuhen, ein Geräusch, als liefe man durch frisch gefallenen Schnee.

Während in der Nacht ein paar üble Monster durchs Gebälk stolzieren, einem den Atem und schließlich auch noch den Schlaf rauben, findet der Tag zwischen Excel-Tabellen und Reinhard Lakomy statt. Also nichts Bemerkenswertes und auch der zwischen Bürostuhl und Monitor eingeklemmte Kopf, dieser vermaledeite, sich dauernd verselbstständigende Denkapparat, dürfte nicht als besondere Sensation gelten. Was sind schon Sensationen? Das Dschungelcamp? Pah. Man tut was man kann. Hier an ein paar Schrauben drehen, dort ein paar Nägel reinhauen, Tasten tippen, dabei fällt mir ein, ich müsste noch dieses tun und jenes und dabei hatte ich doch vor, Liebste, was sagst du denn dazu, ach so, ja, schon eingeschlafen, dahin gerafft von all den Dingen, von all dem Müssen. Und jeden Abend dann, bevor Decken über müde Kinderleiber gedeckt werden und die stille Zeit des Tages beginnt, findet ein Realitätscheck statt, small talk zwischen „Wickie“ dem Wikingerjungen und Mimmelitt dem Stadtkaninchen. Am besten sind dann immer die Tage, an denen man sagen kann „Heute fand ich mal gar nichts doof, alles irgendwie toll.“, positive Energie bevor man sich nicht mehr wehren kann und die Augen zufallen.

[Ein Käseblatt schreibt: "Eiskalt erschossen!" Ich hätte mir gewünscht, es hätte dort "Eiskalt umgelegt!" oder "Eiskalt umgenietet!" oder "Schwein knallt Mann eiskalt ab!" gestanden. Die Variationsmöglichkeiten sind natürlich beliebig erweiterbar, das nennt man wohl Ironie in der Boulevardpresse.]
 
Mi, 14.01.2009 |  # | (855) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Frisch aus dem Stauraum gebloggt

Neujahrsmorgen, halb vier vielleicht oder schon um vier, es ist kalt, nein, es ist eher bitterkalt, so dass man gerne sagen möchte „Verdammte Scheiße, ist das kalt.“ Und natürlich sagt man es auch. Hand in Hand durch leise vor sich hin rieselnde Eiskristalle gehen, das wird der ganze Pulverdampf sein, der sich jetzt langsam in den kommenden Morgen verzieht, an dem viele merken werden, dass auch ein frischer Rollmops kaum etwas gegen diese verdammten Kopfschmerzen ausrichten kann. Ab und zu hört man noch einen Knall und sieht ein Leuchten, trotzdem ist es ruhig, sehr ruhig, fast schon gespenstisch. Haben wir etwas getrunken? Zitternd und schwankend, aber nein, meine Liebste, kaum etwas bis gar nichts, nicht einmal diese riesige Flasche ist angebrochen worden, Sparsamkeit und Enthaltsamkeit wünschen wir uns für das neue Jahr, aber bitte, Liebste, nicht in jeder Hinsicht. Nein. Fast eingefrorenes Kichern, eine Zigarette, noch ein Bier und dann viel Schlaf. Schlaf. Damit fängt immer ein neues Jahr an.

In der Zeit der Feiertage, davor, dazwischen und auch kurz danach, in der Zeit, die ich in einem Ansturm leiser Melancholie unter dem leuchtenden Weihnachtsbaum als schönste Zeit des Jahres bezeichnete, entstand, neben sehr vielen und angenehmen Dialogen, so mancher ausschweifender Monolog, allerdings bin ich ein fauler Mensch, viel zu bequem, einen Zettelkasten, ein Moleskine, ein sonstiges Irgendetwas mit meinen Gedanken zu belästigen, nun ja, vielleicht doch ab und zu, aber vieles geht dann eben doch verloren, so wie eben diese Monologe. In kalten Winternächten denkt man meist zurück und blickt nach vorn und bilanziert und auch weil dies alles wenig rosig anzuhören oder anzuschauen war und ist, ganz global gesehen, denn individuell gibt es doch noch hin und wieder ein wenig Glück und Lichtblicke, vergaß ich vieles, wenn nicht sogar alles. Nun ja, Spuren werden noch vorhanden sein.

Das viele Gerede im Kopf, manchmal wird das auch zu viel. Man verwirrt sich selbst, dann schaltet man den Fernseher ein, um sich eine kleine Denkpause zu gönnen, aber nein, dieses Gerät bringt keine Linderung. Im Gegenteil. Was kommt ist merkbefreiter Brei, nicht mehr als das ameisenhafte Gewimmel schwarz-weißer Punkte, wenn man den Antennenstecker zieht und man weiß: Sinnlose Zeitverschwendung. Ich bin seit frühen Jahren ein Kistenmensch, wenn ich nicht vor dem Radio saß, hockte ich vor der Flimmerkiste, meine Oma tat das auch und meine Mutter und so auch ich, der Fernseher lag also in schon in meiner Wiege, gleich neben dem Bücherregal. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, vor allem sage ich dies denjenigen, die gern und schnell zu reflexartiger Schubladisierung oft unbekannter Individuen neigen: Es gab auch Zeiten, in denen man das Flimmern unbeschadet genießen konnte. Gut dosiert und nicht alleine. Vorbei die Zeit. Gerade in der Weihnachtszeit, die früher (früher!) doch immer mit verschiedenen Wunderbarkeiten überladen war, aber. Heute nicht mehr. Ab und zu ein altes Defa-Märchen oder eines aus der Tschechoslowakei (die gab es wirklich mal), vielleicht noch ein wenig Sport, der Rest kann abgeschaltet werden, es gibt auch gute Brettspiele. Trotzdem auf der Couch liegen und warten. Von der Festplatte läuft „Kill Bill“, Tarantino, ach ja, vor allem der Soundtrack, später noch eine Doku über das Star sein und so, Udo Lindenberg anno 1976, die bekifften Beatles, Amanda Lear und MIT, für die neue Generation, die den WDR sowieso nicht mehr schauen. MIT gefallen mir. Danach Winnetou und Old Shatterhand, gegen halb vier, warum das nun nachts gezeigt wird, anstatt nachmittags, wer soll das schon wissen. Oder verstehen. Allerdings, ich bin kein Reich-Ranicki.

Jahresrückblicke erspare ich mir, das langweilt, nervt, das gibt es doch überall und das olle Jahr ist sowieso vorbei. Der Rest steht in den Sternen und die sollen in diesem Jahr nicht schlecht für Bufflönner stehen, vielleicht legte man mir aber auch nur eine geschönte Auswahl vor, um meine Nerven zu schonen und eine positive Grundstimmung zu erzeugen, wer weiß das schon. Ein Bild überraschte mich allerdings, in einem nachsilvesterlichen Traum: Ich, in einem Garten auf einem bequemen Sitzmöbel sitzend, die Sonne geht langsam unter und ich lege die Beine hoch und lese in einem kleinen weißen Büchlein, mein Lieblings-Benn, wie ich vermute. Schöne Aussichten, wenn das wahr wird.

[Allen, die sich bis hier hinab gearbeitet haben, wünsche ich ein gutes neues Jahr. Den anderen auch.]
 
Do, 08.01.2009 |  # | (497) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Mann|Kind

Der Mann selbst ist am liebsten Kind, darum nimmt er selbiges auch gern an die Hand und sagt bisweilen etwas nettes. Dann fahren sie Straßenbahn, weil Straßenbahnen nicht auf der Tagesordnung stehen, obwohl sie direkt an der Wohnung vorbei rumpeln, in greifbarer Nähe. Na gut, man muss schon ein Stückchen gehen. Das Kind fragt den Mann, wohin er fahren wolle und tut dann so, als würde er genau dorthin fahren, lenkt am Lenkrad, was bei Straßenbahnen nicht unbedingt notwendig erscheint, gibt dann Gas, ab und zu ist etwas geil oder krass, Schulgeflüster beeinflusst Kindergartengeschrei, Sprachentwicklung, vielleicht sollte mal ein Sprachstandstest gemacht werden? Denkt der Mann und muss lachen. Herzhaft, natürlich und übertönt mit dem Gelächter den mild-sauren Kotzegeruch, der unter seinen Beinen hervor quillt und brüllend stinkt. Abartig. So ist das in der Großstadt, jeden Tag saufen sie zuviel und kotzen dann in die Straßenbahn oder die S-Bahn, um alle anderen zu belästigen, nur nicht sich selbst, man merkt ja dann nichts mehr.

Komm, wir laufen das letzte Stück, sagt der Mann zu dem Kind und bleibt nach ungefähr hundert Metern stehen, an einer Baustelle, auf der sich ein Bagger gerade in ein Loch hinein baggert, buddelt, dieses langsam in den aufgeweichten Boden frisst, ganz behutsam und doch voller Kraft, der Motor röhrt nicht, wie der Mann es von dem Bagger erwartet hatte, es brummt gemächlich, wie der Baggerfahrer selbst, mit bartbedecktem Gesicht, brummig, bärig, behutsam. Schau doch nur, sagt der Mann und wird zum Kind, hockt sich neben das seinige, dessen Augen auch irgendwie anfangen zu leuchten, er legt den linken Arm um das Kind, schau doch nur, sagt er noch einmal und will nicht mehr gehen.

Schnee hatte am Morgen alles sanft mit Weiß eingedeckt und die Schuhe sind beim Gehen schnell nass geworden, es ist kalt, sagt das Kind, ich will nach Hause, aber das Mann-Kind will natürlich noch bleiben, ich will aber nicht nach Hause, sagt es. Trotzig. Es kommen noch zwei große Selbstlader und beladen sich auch selbst, man braucht nur noch vier Leute, um auf einer Baustelle zu bauen, einer würde auch reichen, denkt das Mann-Kind, einer der baggert, auflädt, wegfährt und wiederkommt, um ein Schild anzubringen: Vorsicht, Baustelle. Kind und Mann gehen dann weiter, denn es ist kalt und der Schnee hatte alles sanft in Weiß eingedeckt und die Kälte kriecht nun durch Handschuhe, Mütze, Hose, Schuhe, mitten auf die nackte Haut, die sich mit einer pickeligen Gänsehaut schützt.
 
Mo, 15.12.2008 |  # | (439) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Dörflichkeiten

Über die Sinnlosigkeit monotoner Autobahnfahrten muss man nicht mehr fabulieren, auch nicht über die Unfähigkeit mancher Zeitgenossen, die eigene Freiheit mit der Freiheit anderer in Einklang zu bringen, so mancher brüllt wohl hinterm Steuerrad: Jedem seine eigene Autobahn! und drückt dann noch einmal so richtig auf die Tube, ja, ja, Sprit wird auch wieder billiger und andere Menschen ertragen zu müssen ist eben nicht so einfach. Manchmal wäre auch ich gern ein autistischer Einsiedlerkrebs.

Die Berge. Zwischen dunkelblauen Bergen schieben sich dunkelblaue Wolken, ab und zu sieht man noch ein paar kleine Schneehaufen, dreckig, grau, erbärmlich, aber keine Angst, der Winter wird noch kommen, Fuchs und Hase hatten sich erst gestern noch darüber unterhalten, bevor sie sich eine gute Nacht wünschten. Es wird wohl ein tiefer, stahlharter Winter, große Verluste sehen viele für das nächste Jahr voraus, Fuchs und Hase wirkten ein wenig ratlos und klapperten mit den Zähnen.

Das Dorf. Man kann das natürlich auch unter Erholung vom Großstadtleben verbuchen, denn tatsächlich ist man ja doch der überhebliche und großkotzige Icke und versucht irgendwie, weil ja das Leben in der Großstadt so ungemein gefährlich ist, gerade in Berlin, und täglich tiefste Untiefen zu meistern sind, vor allem zwischenmenschliche, auf die anderen, die aus der Provinz, die ihr Leben hier genauso leben, mit allem Drum und Dran, herab zu schauen, was natürlich überhaupt nicht gelingt, denn die Unterschiede sind doch nur oberflächlich, hinter der Fassade sind wir alle gleich. Und so erholt man sich von sich selbst und seiner Berliner Großschnauze, während ein Spielmannszug paukt und trompetet, schaut gut hin und hört fein zu, so etwas gibt es bei uns doch gar nicht mehr, Traditionen erodieren in der Großstadt, zerbröseln in viele Einzelteile und gehen für immer verloren, schade.

Zeit ist Gnade, steht auf der Kirchturmuhr, aber wirkliche Gnade kennt sie nicht, sie lässt sich eben nicht aufhalten, sie vergeht einfach. Deswegen ist man auch schnell wieder weg, genauso schnell wie man kam, alles verschwimmt im Nebel, der gespenstisch vom Hochwald ins Tal herunter zieht, Sterne, Lichter, Asphalt und irgendwann auch wieder das Licht der großen Stadt, um halb vier ist die Sonne weg, müde legt man sich auf sein Lager und denkt zurück, an das was war und schaut nach vorn, auf das, was kommt.
 
Mo, 08.12.2008 |  # | (457) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

1028

Huch, ich wusste ja gar nicht, dass heute schon Weihnachten ist. Und schon behauptet ein Freemailer, heute wäre mein Glückstag. Nicht nur meiner.
 
Di, 02.12.2008 |  # | (441) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Hinterm Scheibenwischer

Regen auf der Windschutzscheibe, wirkt alles wie’ne Endlosschleife. Der quitschende Gummi eng an der Scheibe liegender Scheibenwischer, der perfekte Soundtrack für einen Abschied: Rihanna – Disturbia.

Zuerst kommt aber Track 1, Polarkreis 18, der hat diese Stadionatmosphäre und man möchte mitsummen und auch mitschunkeln. Zum ersten Mal gehört bei einer Fahrt nach Spandau, ganz allein durch die City, es war Spätsommer oder Frühherbst, jedenfalls warm und auch streckenweise sonnig. Irgendein Sonderangebot war dort abzuholen, im Schwedenmarkt in Spandau, das ist doch verrückt: Man rast durch diese Stadt - Verschissene Stadt aus "Abfall für alle" - quält sich durch Staus und meckernde Autofahrer, nur um ein Sonderangebot aus einem vereinsamten Schwedenmarkt zu holen, scheinbar ein Einzelstück, günstiger Preis, wird es nie wieder geben. Polarkreis 18 hielt ich zuerst für Moby, allerdings dachte ich dann, nachdem ein paar Takte gespielt waren, dass das gar nicht Moby sein kann, das klingt ganz anders und trotzdem auch ein wenig nach Moby. Diese Nummer ist natürlich eingängig, besonders für mein seit mindestens 20 Jahren auf banalste Popmusik geschultes Ohr (ich habe auch etwas von Kylie Minogue auf Kassette) und das ist natürlich beabsichtigt, wird man behaupten, denn solche Musik hat doch letztendlich nichts mit Kunst sondern mit dem Verkauf von Tonträgern zu tun, das ist doch der hauptsächliche Zweck dieser Musik, wird man oft behaupten, als säße dort jemand in seiner Bude, draußen regnet es und der schreibt ein paar Zeilen auf, klimpert ein paar Töne dazu und fragt sich sogleich, wie viele Euros hier nun zu verdienen seien. Das ist die Bohlenisierung populärer Musik, Kapitalisierung von Texten und Tönen, hier soll es also nur ums Geld gehen und das man das so sieht, liegt an den Gewinnspielradiosender und Superstarfernsehanstalten, wahlweise auch Popstarsquotenfänger, Quote, Quote, Quote, alles ausquetschen, solange im Schwamm noch ein wenig Wasser ist. Oder Wein. Trotzdem wird das dann laut gemacht und gehört und für gut befunden, es wird mitgesummt und mitgeschunkelt.

Wie schnell Kinder es schaffen, Dinge auswendig zu lernen. Hören etwas, ein Mal, zwei Mal, drei Mal und dann setzen sie sich hin und sprechen nach, singen nach, lachen dabei verschmitzt oder tun das auch ganz inbrünstig, wie man es sich selbst kaum noch traut, weil man so unglaublich befangen ist, die Befangenheit des Erwachsenseins. Der perfekte Soundtrack für einen Neuanfang: Peter Fox – Haus am See.
 
Di, 02.12.2008 |  # | (635) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Irrgarten

Im Prinzip läuft das so: Man hat ein Problem, vielleicht eher ein Problemchen, das zuerst auch gar nicht so wild erscheint, nein, es ist eher unproblematisch, es geht nicht um viel, aber um Geld und da hört irgendwann ja auch mal der Spaß auf. Nach zwei Monaten vielleicht, man hörte bis dato nichts und wieder nichts, es gab keine Bewegung in diesem Fall, Totenstille, das beunruhigt dann doch irgendwann. Man sucht sich also eine Telefonnummer, von der man meint, es könnte die richtige sein, sammelt ein wenig Freundlichkeit in der Stimme und auch im Herzen, der Groll ist ja gerade noch erträglich, und ruft diese Nummer an, Person A nimmt den Hörer ab. Aha. Person A ist nicht vorbereitet, wie auch, das ist ja ein Spontantelefonat. Spontantelefonate sind nicht überall gern gesehen, scheint es, und Person A ist ein wenig verwirrt und auch überfordert. Stille, Stammeln, Stottern, ach bitte, sagt sie, rufen Sie doch in drei Tagen noch einmal an, vielleicht weiß ich dann mehr. Ja. Man nimmt das hin, das ist ja auch irgendwie schon mehr, als gar nichts, was sind schon drei Tage, wenn man schon zwei Monate geduldig wartete.

Nach drei Tagen endlich ruft man dann, wie abgesprochen, an. Person A geht ran, sie ist erst still, dann stammelt sie, stottert, ach ja, sagt sie, Sie sind das, ich verbinde Sie mal mit Person B, die kann Ihnen sicher weiterhelfen. Ja. Man nimmt das hin, schließlich geht es ja weiter, jede Weiterleitung bedeutet Bewegung und Bewegung ist natürlich besser als der Stillstand der letzten zwei Monate und Person B ist sicherlich kompetent genug, einem die doch inzwischen sehr ersehnte Auskunft zu erteilen.

Person B nimmt sogar den Hörer ab und beendet so die langweilige Zeitschleifenmelodie. Ja, sagt sie, nachdem man ihr lang und breit seine Geschichte erzählt hat, man kann das ja inzwischen auch gut, den Namen habe schon einmal gehört. Leider kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen, rufen Sie mal am besten Person C an, die weiß auf jeden Fall etwas, ich bin ja hier nur aushilfsweise und schon wieder auf dem Sprung in eine andere Abteilung, wissen Sie, ich bin hier nur Springer, da geht man meistens nicht so in die Tiefe. Ja. Man nimmt das vorerst hin, ahnt aber, dass es hier teifgreifendere Probleme gibt. Hier weiß niemand etwas. Vielleicht wissen ein paar ein bißchen, ein paar wissen mehr, ein paar wissen weniger, aber niemand weiß alles und das vor allem, wenn man etwas will. Rufen wir nun also Person C an und werden sehen, ob am Ende wenigstens eine der Personen zwischen D und Z ein wenig Durchblick erkennen lässt. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
 
Mi, 24.09.2008 |  # | (369) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 

Catcontent

"Schau mal da, Papa, die Katze."
"Ha, genau so eine hätte ich gern. Geht doch aber nicht. Katzenhaarallergie. Wenn es doch nur katzenhaarallergiefreie Katzen gäbe. Erfände jemand so eine, hätten wir auch eine Katze. Ehrlich, jetzt."
"Weißt du, Papa, ich mach das. Ich baue einfach eine Roboterkatze."
"Aber die ist doch nicht echt, nur künstlich, metallisch und nackt."
"Na, dann klebe ich ihr einfach das Fell vom Hund an."
 
Fr, 29.08.2008 |  # | (406) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 



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Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57


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