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aus dem Tagebuch "Darf ich das so notieren?" von Win K., Eintrag vom 04.10.2000

Gegensatz. Ende. Ein Ende der Zerrissenheit? Dieses Gefühl, zwei, drei Jahre ist es her, dieses Gefühl, wie ich sie küsste, es war noch dunkel draußen und ich küsste ihre nackte, warme Schulter, die so gut roch, nach ihr, nur nach ihr. Hey, sagte ich ganz leise, steh auf, wir fahren los. Sie schaute ganz verschlafen, halb geöffnete Augen und dann lächelte sie, dieses absolut einnehmende Lächeln, dem man zu keiner Stunde des Tages widerstehen konnte. Wir fuhren los und den ganzen Tag hatten wir beide dieses Gefühl, ein Kribbeln, das war ja unbeschreiblich und dann gingen wir Hand in Hand den Strand entlang, den ganzen Tag. Mehr taten wir nicht, wir spazierten Hand in Hand und schauten auf das Meer, das ruhig vor sich hin schaukelte, ein paar Möwen schwebten über dem fast spiegelglatten Wasser und es war kalt, wunderbar kalt, so kalt, dass wir uns ganz eng aneinander schmiegen mussten, so wurden wir also eins, aus dem ich und du ein wir und beide hatte wir dieses Gefühl der Einzigartigkeit, ja, fast Vollkommenheit.

Dieses Gefühl also, es war wieder da. Der Himmel blau, absolut wolkenfrei, perfekter Herbsthimmel, viel zu perfekt, denn nichts und niemand kann jemals perfekt sein, alles hat irgendwo eine dunkle Stelle, jeder eine Kante, aber das ist es doch, was uns lieben lässt. Wir. Gibt es wieder ein wir? Monatelang du und ich, nebeneinander fuhren wir, irgendwie, der eine überholte den anderen, ab und zu rammten wir uns, holten uns Dellen und Kratzer, aber wir waren immer nur du und ich. Nie wir. Und jetzt? Hand in Hand, der blaue Himmel, Menschen strömen durch die Straßen, Feiertag. Du, hast du am Telefon gesagt, ganz schüchtern und zögerlich, mit brüchiger Stimme, tagelang hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen, du, ich möchte dich sehen, geht das? Und ich freute mich natürlich, weil deine Stimme nicht nach Ende klang, sondern nach Anfang. Natürlich! Natürlich! Sofort, ich war auf einmal ganz euphorisch, dämpfte mich aber dann. Was, wenn? Was, wenn es das letzte Mal ist? Was, wenn es endgültig vorbei ist? Nein, nein, das ist es nicht, deine Stimme klang nach Anfang, nicht nach Ende. Und dann sah ich dich, das war unglaublich, denn sofort war dieses Gefühl wieder da, du, ich, wir am Strand, wie ich dich zart weckte, dieser Tag, die letzten Jahre, alles und dann die letzten Monate und unsere unglaubliche Dummheit, denn in dem Moment, in dem wir uns wieder sahen, jetzt, hier, wussten wir es, wir wussten es einfach, die letzten Monate, reine Dummheit von uns, Idiotie, es gibt ja nichts zu Deuten, zu Zweifeln und doch taten wir es, erst du, dann ich, wir beide und verletzten uns gegenseitig, als wäre alles Kampf und jetzt? Jetzt waren wir hier.

Blick über die Stadt. Ich nehme dich in den Arm, altes Gefühl, ganz neu gefühlt. Schön. Mehr als das. Wir lächeln uns an, küssen uns, du riechst gut, so gut. Und nun? Lass uns abhauen, sagt Bonnie zu Clyde, ganz weit weg, alles neu machen, anders, besser. Geht nicht, Baby, hier und jetzt müssen wir klar kommen. Aber, die Stadt ist groß und anonym, hier geht das. Versprich mir, sagt sie, dass uns das nie wieder passiert. Das kann ich nicht. Ich kann dir das nicht versprechen, du weißt doch, das schleicht sich von hinten an und würgt dich dann unbarmherzig, aber jetzt sind wir hier, haben es abgeschüttelt, wir wissen jetzt wie, lernen vielleicht aus unseren Fehlern, hoffentlich. Zieh wieder ein, sagst du, so schnell wie möglich und ich schau dich an, weil ich das gar nicht glauben kann, gestern stand ich noch am Abgrund und heute flieg ich einfach drüber weg? So schnell, frage ich dich und du lachst. Na klar, H. und W. sind doch schon längst genervt von dir, heulst da immer rum und jammerst über dich selbst und das schlimmste ist, wenn du nachts deinen Kopf gegen die Wände haust, besoffen und genervt von dir selbst. Schatz, sagst du, wir haben doch beide Fehler gemacht und irgendwann muss doch mal Schluss sein, mit dem Gezeter, ich will dich, das ist so glasklar und du mich, das spüre ich. Ich bin baff. So viel Scheiße die letzten Monate und jetzt so viel Vernunft?

Abendsonne, wir laufen immer noch durch die Stadt, halten uns fest und träumen vom Meer, vom Strand und den Möwen. Wir wollen nicht vergessen, wir wollen aber nicht ständig an die vergangene Zeit denken, an die Dunkelheit, Neuanfang, andere Vorzeichen, wir haben Abgründe gesehen und unsere Grenzen kennen gelernt. Jetzt: Kribbeln, Berührungen, Worte, Phantasien, irgendwann wird alles wieder eins und die Nacht unendlich, draußen ist es dunkel, Kerzenlicht, diese wohlige Wärme, es riecht, wie es immer riecht, zu Hause, wie es riechen muss, es fühlt sich gut an, richtig, und Liz liegt neben mir, wir schweigen die Decke an und träumen, gemeinsam, alte Träume und neue und versuchen, über das Vergangene zu lachen, obwohl es nichts zu lachen gibt, und schauen nach vorn, Zukunft, ein warmes, wohliges Wort, in diesem Moment.

(Ende)
 
Do, 04.10.2007 |  # | (1283) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schreib mal wieder


schneckle   (04.10.07, 18:51)   (link)  
Also dieses (Ende) macht mich ganz wuschig. Und das Ende erst recht.


bufflon   (04.10.07, 22:54)   (link)  
Es ist ja nur das Ende eines Fragments.


schneckle   (04.10.07, 23:16)   (link)  
Das verstehe ich schon, aber es kam so überraschend, beides. Und so recht kann ich mich mit diesem Ende nicht anfreunden. Vielleicht ist das aber auch gerade gut so.

Ansonsten stimme ich in allen Punkten mit dem Herr Cabman überein.


cabman   (04.10.07, 21:57)   (link)  
Groß, mein Lieber, ganz groß!
Ich habe gerade zu Püppiee gesagt, wenn du das alles zusammenfasst, wird es ein geiles Buch. Ich, nein wir, würden es kaufen! Aber nur mit Widmung!;-)











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