pixel pixel



Schöne neue Welt

Irgendwann reden wir nur noch Zwitscher. Irgendwann erfindet jemand eine social platform, eine community, die zum Austausch von Informationen zwischen faulen und fleißigen Schülern dient, eine Art Abwehrwaffe gegen alle möglichen gesellschaftlichen Einflüsse auf die vielleicht noch nicht ganz verloren gegangene Schülerschaft, ja, man möchte fast von der gesamten Jugend sprechen. Hier erledigt einer für den anderen die Schulaufgaben und erwirbt damit Karmapunkte und Wissen, das ihn wiederum vom anderen abhebt. Und so weiter.

Irgendwann wird die Menschheit von jeglichen Zwängen befreit und man kann endlich morgens im Bett liegen bleiben und die Arbeit, sofern man noch einer nachgehen darf, bequem per mobiler Arbeitseinheit erledigen, Chirurgen und so natürlich ausgenommen. Das erzeugt allerdings auch wieder Neid. Irgendwann verschwindet aber auch dieses Phänomen und man erhält eine staatliche Grundsicherung, die einem das Liegenbleiben in warmen Federn ein wenig erleichtert (Kaffee bringt der Hausroboter ans Bett), wer mehr will, muss trotzdem wieder raus aus den Federn. Die staatliche Grundsicherung reicht allerdings dicke, um sich leckere synthetische Lebensmittel ins Haus liefern zu lassen, einen Internetanschluss, den man zur Online-Bestellung dringend benötigt, hat natürlich jeder Haushalt zugewiesen bekommen. Supermärkte, in denen Mitarbeiter mit Kameras überwacht werden müssen, braucht man nicht mehr. Die synthetischen Lebensmittel sind im übrigen äußerst praktisch, sie nehmen kaum Platz weg und müssen nicht gekühlt werden, zudem sind sie manchmal auch ein bisschen lecker, ein Schnitzel ist zum Beispiel in einer Plastikfolie eingeschweißt, relativ klein und hat auch wenig mit Schweinefleisch zu tun. Die Haltung von Schweinen und sonstigem Getier ist schon seit Jahrzehnten ökologisch nicht mehr vertretbar, deswegen wurde ein organischer Gummi entwickelt, der unter Zugabe von Geschmacksstoffen ein passables Stück Fleisch imitieren kann. Regierungen gibt es übrigens auch nicht mehr, dafür globale Vorstände und Aufsichtsräte (Sitz in China), die Weltbevölkerung hat in ihrem letzten Volksentscheid fast einstimmig auf jegliche politische Einflussnahme verzichtet und hofft nun auf den vom großen Vorstandsvorsitzenden versprochenen Wohlstand für alle.

Natürlich gibt es auch eine kleine Gruppe von fortschrittsfeindlich gesinnten Gesellschaftgegnern, aber die haben wie immer die breite Masse gegen sich, die ganz gut damit leben kann, dass sie das Internet direkt über die in den Arm implantierte mobile unit empfangen kann, inklusive GPS und Gedankensteuerung, die übrigens auch bidirektional funktioniert und automatisch Statusmeldungen an ein zentrales Austauschsystem sendet ("Jetzt Kaffee trinken."). Die Zukunftsängstlinge, wie die kleine Gruppe der Fortschrittsgegner auch gerne spöttisch genannt wird, glaubt noch an ein völlig überholtes Wertesystem, an Liebe, Glück, Gemeinschaft und sonstigen Schwachsinn, wie sich auch der große Vorstandsvorsitzende gerne ausdrückt. Solch realtiv nutzlosen Dinge werden nun zentral von einem Computer gesteuert und immer wieder neu generiert, je nachdem, wie die Stimmung gerade ist. Um lästigen Nachwuchs muss man sich auch nicht mehr kümmern, das übernehmen riesige, fabrikhallengroße Labore, in denen Embryos je nach Bedarf künstlich hergestellt werden. Erziehung und Ausbildung werden in einem globalen, einheitlichen Erziehungssystem übernommen, relativ unempfindliche Erziehungsroboter kommen mit jedem noch so komischen Kind klar, allerdings gibt es kaum noch Abweichungen von der Norm, seitdem die Labore die genetische Entwicklung jedes einzelnen Embryos in Echtzeit überwachen können.

So liegt Mensch also morgens in seinem Bett, nachdem er mit der Welthymne "It's a perfect world" zart geweckt worden ist, schaut seine Statusmeldungen und natürlich die der anderen an, kommuniziert über das zentrale Austauschsystem, genießt den Kaffee, den der Hausroboter wie immer perfekt hinbekommen hat, und wartet auf das nächste computergenerierte Großereignis, dass von der täglichen Tristesse des automatisierten Lebens ablenken soll. Second live.
 
Di, 08.04.2008 |  # | (644) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: verstaendnisuebung


bonafide   (08.04.08, 20:31)   (link)  
gänsehaut vor lauter grusel.

irritiert hab ich gerade den zwitscherbutton da unten entdeckt.


ericpp   (08.04.08, 21:03)   (link)  
Das fällt unter Selbstversuch an der eigenen Büffelhaut....


bufflon   (09.04.08, 09:02)   (link)  
Mit einem Ohr immer an der Populärkultur, man will ja schließlich nicht als Zukunftsängstling enden. Oder so ähnlich. Und den Grusel kann ich noch weiterführen.











pixel pixel



(geborgt bei flickr)


Online seit: 08.02.2006
Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57


Links:

... Home
... Blogrolle (in progress)
... Themen
... Impressum
... Sammlerstücke
... Metametameta

... Blogger.de
... Spenden

Archiviertes:

April 2008
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 3 
 5 
 6 
 7 
10
12
13
15
16
17
19
20
26
27
28
 
 
 
 
 


Suche:

 









pixel pixel
Zum Kommentieren bitte einloggen

Layout dieses Weblogs basierend auf Großbloggbaumeister 2.2

pixel pixel