1567 Nach dem Regen nun Sonnenschein. Doch dem Mai bin ich sauer, er hat meine Erwartungen enttäuscht. # Lost? # Menschen mögen ihre Kinder nicht, denn sie stören. # Kinder mögen ihre Eltern nicht, denn diese haben niemals Zeit für sie. Immer sind sie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und versuchen dabei, die Kinder nicht spüren zu lassen, dass sie stören. Kinder mögen ihre Eltern nicht, denn sie erziehen. Ständig wollen sie irgendetwas beeinflussen oder gerade nicht beeinflussen. Wie sie sich gegenseitig lieben können, bleibt ein Rätsel. Vielleicht mögen sie sich am Ende doch? # Auf ihrem aktuellen Album „Savana“ versuchen sie, sich aus ihrer Blaxploitation-Headzdrill-Ausgangssuppe etwas in Richtung einer Art „Indie-BigBeat“ freizuschwimmen. Dieses Vorhaben scheint durchaus pumpintensiv gelungen zu sein. Nun kann man allerdings durchaus geteilter Meinung sein, wenn heuer statt ausgeprägter Digi-Shaftismen eher die automatisierte Riffkraft einstiger Helmet-Meisterwerke den Unterboden stellt. Tatsächlich darf man hier aber absolut sinnstiftende Kraftmotor-Funktionalität attestieren. (PNG, aber die Musik ist ganz okay.) # Wie wir nachts dort saßen und Bier tranken und diesen unheimlich blöden und blutigen Film von Mel Gibson schauten, wie ich sagte "Pass auf, gleich kommen die Spanier." als der Jaguarmann blutend zum Meer lief und die Spanier kamen und wir uns anschauten und lachten und draußen schien der fast volle Mond und die Nachtigall sang ihr Lied zur Nacht. # Nichts ist sicher. Jeden Moment kann alles anders sein. # Laufen ist etwas für Tiere, Fußball spielt man mit Gehirn. (angeblich einer von Louis van Gaals Leitsätzen) Natürlich muss der Schöngeist dem schnöden Fußball abschwören, er muss ihn rigeros ablehnen. Geifernde, schreiende und saufende Anhänger, deren Gehirn irgendwo in der Kreisliga hängen geblieben ist und sich über Erbsengröße nicht weiter entwicklen konnte, dazu noch diese ganze Vereinsmeierei, im Großen wie im Kleinen, dieses gezwungene Miteinander und nach dem Spiel an den Grill stellen und wieder Bier trinken und alle streben nach dem großen Geld (als ginge es sonst niemals nie ums Geld, schon gar nicht in der Schöngeisterei, die sich nur mit dem Schönen und nicht mit dem Teuren beschäftigt), Prügeleien auf und neben den Plätzen und überhaupt: Fußball ist als Massenphänomen (in EM/ WM-Zeiten mit nationalistischem Charakter) überhaupt abzulehnen, da machen viel zu viele mit, wo bleibt da das Individuum? Stimmt. Grundsätzlich. Aber van Gaal hat recht. Stellt man sich einmal unvoreingenommen an einen Fußballplatz, lässt den Blick nur einmal über die FAZ auf den Rasen schweifen, beobachtet wie die Spieler eine Einheit bilden, wie sie Positionen einnehmen und wieder verlassen, wie sie rotieren, sich bewegen, um im richtigen Augenblick am richtigen Ort zu sein, was natürlich in den seltensten Fällen klappt, denn da sind ja noch elf andere, die genau das gleiche Ziel haben, nämlich den anderen Matt zu setzen, durch die gezielte Bewegung von Figuren auf einem großen Spielbrett, dann wird man erkennen, dass Fußball - wie andere Sportarten natürlich auch - mehr ist, als nur die Summe aller Bratwürste mit Bier im Stadion (heute: gesponsorte Arena) um die Ecke. Aber natürlich: Das kann jeder halten wie die Dachdecker. (In diesem Sinne: Man möge mir ein Knoten ins Taschentuch machen, nicht zu vergessen, unbedingt dies hier noch zu erwähnen und eine neue Tipprunde für Unprofessionelle einzuläuten.)
Überrollt Ein Abteil, sechs Sitze, ein Tisch und ein Passagier. Einsam am Notebook sitzend, Tasten malträtierend und in Papierkram rumwuselnd, lässt er ab und an den Blick aus dem Fenster schweifen. Das Geräusch, das Räder beim Gleiten über die Schienen verursachen, die blühenden Rapsfelder im großen weiten Draußen hinter dem Panoramafenster, dunkle Wolken, die immer dunkler werden, je weiter man nach Osten fährt und die riesigen Seen des gewaltigen Niederschlags der letzten Wochen, in diesem verregnetsten Mai aller Zeiten. Sich heimisch fühlen und denken können, eine Zeitung greifen, sie liegt ja sonst sowieso nur herum, das arme Stück, darin blättern, stöbern, man kommt ja doch so selten dazu, vor allen Dingen bei diesem Wetter, das schläfrig macht, mit seinen grauen Tagen und kalten Nächten, und melancholisch. Noch nie solche Ruhe gefühlt beim Reisen, noch nie so leicht über Dingen gestanden, noch nie so gern in diese Stadt herein gefahren, zugedeckt im grauen Nebel und bevölkert von Unbekannten, die lustig sind oder traurig, reich oder arm, schön oder hässlich, wie diese Stadt, die wirklich, wirklich die meinige ist.
Begegnung der dritten Art Mit einem freudigen Hallo begrüßte mich der befreundete Schrifststeller, als ich ihn im Warteraum der Zahnarztpraxis traf. Ich grüßte still zurück. Muss der jetzt hier sein, fragte ich mich und versuchte eine dicke Backe zu simulieren. Eigentlich war ich nur hier um irgendwie hier zu sein, im Warteraum der Zahnarztpraxis, womöglich wollte ich mir einen Termin geben lassen oder den typischen Zahnarztpraxengeruch inhalieren und mich inspirieren lassen. Der befreundete Schriftsteller begann zu reden, obwohl er doch nach jahrelanger Freundschaft hätte wissen müssen, dass ich nichts für Gespräche übrig habe, schon gar nicht in Zahnarztpraxenwartezimmern. Ich glaube, er stellte mir seinen neuen Roman vor, so ein Berlin-Ding, irgendwie hip und am Ende scheitert der Held (die Heldin?), vermutlich im Berghain, in der er (sie?) sich die Birne zudröhnt und Menschen jeden Geschlechts vögelt. Weißt du, nuschelte ich nach ein paar Minuten aus meiner simulierten Schmerzbacke heraus, typische Berlin-Romane interessieren mich genauso wenig wie Romane über die männliche Verdauung, im Gegenteil, sie bringen mein Blut zum Kochen und mein Kopf schwillt an, bis er explodiert. Wie dir bekannt sein sollte - und ich sah dabei wohl aus, wie Bruse Willis in "Stirb langsam", ganz zum Schluss, Blut verschmiert und völlig verzweifelt an einer kaputten Kippe nuckelnd - tue ich mich mit so gut wie allem schwer, vor allen mit Menschen. Aus mir heraus betrachtet gefällt mir mein Leben also ganz und gar nicht und schon allein deshalb, weil ich mir selbst schon nicht ganz passe, geht mir dein pseudoliterarisches Boheme-Geschwafel so dermaßen auf die Ketten, dass ich dir dringend raten muss, das Wartezimmer dieses meines Lieblingszahnarztes sofort und maximalem Tempo zu verlassen und dich nie - und ich meine damit nie nie nie - wieder in meiner Gegenwart zu solchen oder ähnlichen Themen zu äußern. Der sterbende Bruce Willis schien ihn überzeugt zu haben, sofort setzte er sich, die Sport-Bild in der Hand, in den Nachbarraum und verschwand aus meiner Wahrnehmungssphäre, die nun angefüllt wurde mit den wunderbaren Klängen einfachster Fahrstuhlmusik und dem einzigartigen Geruch einer Zahnarztpraxis. Aufgewacht.
1548 In einem stillen Land - eines der besseren Geschenke. Eines der besten, womöglich. Sehr empfehlenswert, wenn man schwarz/ weiß mag und Menschen, stille Menschen. # Rezepte ausdrucken, das ist doch auch irgendwie. In diesem damals™ rief man sich noch an, notierte Rezepte oder man schrieb sie einfach ab, wenn man irgendwo etwas aß, das besonders schmeckte und man sofort fragen musste, wie denn das Rezept sei. Heute gibt es Apps, die man ständig mit sich herum tragen kann. Oder man druckt sich Rezepte aus. Aber auch das ist wohl schon veraltet. # Musik lieben, das liegt in der Familie. # In den Kika-Kindernachrichten klingen die Krisen der Welt nicht mehr so schlimm, sie sind wattig-wohl eingepackt. Wenn man dann aus Versehen in die unzensierte Tagesschau-Version hinein schaut, schaudert es einen immer wieder. Wenn Menschen in gemäßigt schicken Klamotten aus gemäßigt schicken Wagen steigen und lächeln, als wäre es wichtig zu lächeln, als könnte man die Krisen der Welt einfach weglächeln, als wäre das Image so unglaublich wichtig und die Oberfläche sollte möglichst wenig zerkratzt sein, und, und, und. Nachrichtensendungen vermeide ich möglichst, es bringt ja doch nichts. Über das Leid der Menschen lässt sich besser lesen, als es durch blitzblanke Oberflächen hindurch scheinen zu sehen. # Die Hauptschule. In diesem damals™, am Gymnasium, traf ich immer wieder auf Mitschüler, die besonderen Gefallen daran fanden, auf andere geringschätzig hinab zu blicken, weil sie meinten, sich aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Form von Leistungsgruppe über sie erheben zu können. Dumme Maurer, blöde Maler, dämliche Handwerker. Natürlich funktioniert das wunderbar, wenn einem das schon immer so eingerichtert wird, vom Ingenieursvater, vom scheinintellektuellen Lehrer: Wir, hier oben, lesen. Die da unten saufen und rotzen in die Gosse. Hunde, die. Und die Statistik bestätigt diese Haltung. Je höher der Abschluss, umso höher das Einkommen, umso geringer die Arbeitslosenquote. Man kann das als gegeben ansehen und daran glauben, dass Leistung irgendwann, aus dem Bauch heraus oder meinetwegen von Gott gegeben, wachsen wird und alle Menschen glücklich werden. Man kann auch die Hauptschule abschaffen und alle Schüler in Gemeinschaftsschulen verfrachten, grundsätzliche Ansichten wird man so nicht verändern können. (Umgekehrt übrigens genauso: Dem Eliteschüler aus der bilingualen Klasse wurde gerne mal die Fresse im Sandkasten poliert, weil der da oben und die da unten waren. Das war übrigens schon im real existierenden Sozialismus so.) # Ach.com, egal - ist auch keine Lösung.
Wird schon, alles. Kalter Mai, wer hätte das gedacht. Schuhe nass, Hose nass, Jacke pitschnass. So stiefelt man dann in den Zeitungsladen hinein und sieht mit an, wie der graumelierte Herr zum Berliner Boulevardblatt greift und Zigaretten kauft. Das schlimmste am Rauchen sind die Zigaretten, sagte ich schon einmal großväterlich zum Nachwuchs und steckte mir später heimlich, hinterm Haus, eine an. Schlimm. Das Boulevardblatt beschäftigt sich natürlich mit dem klammen Griechenland ("Feta und Tsatziki gratis für alle") und Herthas Abstieg, wobei letzteres bei weitem tragischer ist, als der finanzielle Ruin der blauen Lagune, des Reichs der Götter. Sicher, die Herren mit den dunklen Anzügen werden jetzt dorthin fahren, vielleicht trinken sie Ouzo oder griechischen Wein ("das Blut der Erde") und essen ein paar Oliven (vorzugsweise schwarz) dazu und dann packen sie die Koffer auf den Tisch und retten den Schuldner mit Schulden. Eigentlich wollte ich den Mann fragen, ob er schon mal einen Sonnenaufgang auf Kreta erlebt hat, aber dann verkniff ich mir diese Frage, von Wirtschaft habe ich sowieso keine Ahnung. Regen, immer noch kalt. Überall kalt, ich hatte anderes erwartet, vom Mai. Vor dem Einkaufszentrum zwei Saufkumpane, der ein pinkelt in die Ecke, während der andere zwei frische Sternburger mit einem Feuerzeug öffnet, es zischt, die Kronkorken fliegen durch die Luft und fallen scheppernd auf den nassen Beton. Na dann, Prost. Ich nicke dem Bieröffner zu und frage mich, ob die beiden in den letzten Wochen auch nur mal eine Stunde nüchtern waren. Wahrscheinlich nicht. Sternburger ist billig und Gesellschaft gibt es hier auch, warum also sein Leben anders verbringen, als vor einem Einkaufzentrum sitzend und Bier trinkend. Das muss am Ende jeder selbst wissen. Ob die beiden noch eine Wahl haben, weiß ich nicht. Vielleicht sitzen sie schon viel zu tief drin, im Sternburger Sumpf, im Wodkawahn, die alten Schnapsdrosseln, wieviel Gehirn bleibt noch übrig, wenn man morgens um acht das zweite, dritte, vierte Bier kippt? Kaffee kippen. Das ist sowieso der Antriebsstoff, auch wenn es nicht für einen Roman reicht. Ich habe schon einmal eine Seite geschrieben und dann weiter gedacht. Aber das klingt alles nicht. Mir fehlt da etwas. Man muss sich auch mal selbst beobachten und sagen: Nein. Gefülltes Leben, ohne große Nöte, das ist kein gutes Polster, darauf kann sich kein Dichter betten, Dichter müssen leiden oder zwölf Stunden am Tag arbeiten. Ich leide nicht oft und arbeite anderweitig gut, ein Dostojewski wird nie aus mir, auch wenn ich manchmal davon träume. Der große Junge träumt davon, ein großer Fußballspieler zu werden. Ich sage "Lerne etwas anständiges." doch wer will schon etwas anständiges lernen? Doch, soll ich ihm sagen, dass er es nicht kann, dass Fußball das Letzte sein wird, mit dem er irgendeine müde Mark verdienen wird? Kinder, auch so ein Grund, keine Romane zu schreiben. Dafür tanzt man, in den Mai, auch wenn er kalt ist und grau, aber das wird schon noch. Wie alles wird. Irgendwie.
Dinge nicht mögen Gehört nicht, so mein Gedanke am frühesten Morgen, zu einem dieser pseudosozialen Netzwerke die Möglichkeit, Dinge auch mal nicht zu mögen? Warum soll immer nur über die Dinge gesprochen werden, die ich und andere mögen ("Like!") könnten? Warum nicht auch mal ein paar Dinge nicht empfehlen? Hier zwei erste Versuche, wer nachmacht oder verfälscht oder nachgemachte oder verfälschte in den Umlauf bringt, wird garantiert gemocht.
Maschinen und ich Die Frage, ob man irgendwo angekommen ist, kann man sich selbst beantworten. Man fährt los, schaut vorher in einen Plan, wenn man nicht genau weiß, wie man dort hin kommt, ansonsten lässt man sich von seiner Kenntnis leiten. Im Zeitalter der Satelliten und des allgegenwärtigen Internets verlässt man sich seltener auf seine Kenntnis, man googelt, um zu wissen. Einen Stadtplan habe ich schon lange nicht mehr, jedenfalls keinen aktuellen. Wenn ich irgendwo hin möchte und nicht weiß, wie, frage ich Google. Google sagt es mir, ich kann eine Route ausdrucken und finde den Weg. Ich erlange Kenntnis, bevor ich losfahre, weiß also schon Bescheid, bevor ich den Schlüssel im Zündschloss umdrehe. Neuerdings will ich mich auf eine Maschine verlassen. Ich sage der Maschine, wohin ich möchte, sie leitet mich. Mithilfe von Satelliten und des Internets. So die Theorie. In der Praxis werden Routen ständig neu berechnet, verwirrende Auskünfte erteilt, die gar nicht stimmen können - wie zum Beispiel "Fahren Sie sieben Kilometer geradeaus." und kurze Zeit später "An der nächsten Kreuzung links abbiegen und wenden." dann wieder "Fahren Sie sechs Kilometer geradeaus." - Satellitensignale gehen verloren, Geschwindigkeiten übertreten, obwohl man steht. Das führt zu Verwirrung und Belustigung, aber nicht ans Ziel. Wahrscheinlich bin ich dem nicht ganz gewachsen. Wahrscheinlich bin ich einer, der Routenpläne aus dem Internet ausdrucken muss - ein Internetausdrucker - nicht geschaffen, der netten Stimme einer Maschine zu folgen. Ich folge lieber der Stimme der Beifahrerin, befrage lieber ein Kind, auf das es einen Blick auf das ausgedruckte Kartenmaterial werfe, ich kann mich nicht hundertprozentig in die virtuellen Arme einer Maschine fallen lassen. Um Maschinen zu vertrauen bedarf es Vertrauen, das ich nicht habe. Maschinen werde ich immer skeptisch betrachten. Und trotzdem nutzen.
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(geborgt bei flickr)
Online seit: 08.02.2006
Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57 Links: ... Home ... Blogrolle (in progress) ... Themen ... Impressum ... Sammlerstücke ... Metametameta ... Blogger.de ... Spenden Archiviertes:
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