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Abendschau

Irgendwann in den dunklen Abend entlassen. Die Dunkelheit fällt jetzt spontan vom Himmel und dann wird es plötzlich noch kälter. Na ja, warm anziehen also und den Schal bitte nicht vergessen. An Containern kleben Plakate, eine Tussi, grell geschminkt, mit Blow-job-Mund und Pornobrille, Werbung für irgendeine Balkan-Party, da gehts bestimmt heiß her, mit Slivovitz und Bier und Koks und Extasy. Am Hackeschen Markt huscht George Clooney in den Shark Döner, hier trifft man ja nur noch Prominenz, alle wichtig und berühmt und alle wohnen jetzt in Berlin, der In-Stadt überhaupt, weltweit, hier ist alles immer schön, auch nachts und tagsüber, wenn man unter Heizpilzen sitzt und am aufgeschäumten Milchkaffee nuckelt. Aber das war jetzt gerade doch nicht George Clooney, jedenfalls nicht der echte, nur so ein Poser, ein Nachmacher, einer, der mitspielen will, beim große Spiel auf dem vanity fair. Die Straßenbahn ist voller als sonst, der Bahnstreik treibt die Leute in die gut geheizten Wagen, man erkennt die Neulinge an ihrer Unsicherheit, fragend schauen sie, ob sie überhaupt irgendwann irgendwo ankommen werden. Hoffentlich nicht in Marzahn oder einem anderen Randbezirk voller Nazis. Mich trifft der Streik nicht, deswegen habe ich uneingeschränktes Verständis dafür, ich meine, was bleibt einem denn übrig, wenn man sich nicht vollständig ergeben will, es muss doch immer Möglichkeiten geben, seine Forderungen durchzusetzen. Und ein wenig mehr Geld in der Tasche, da sagt nicht mal der Vorstandvorsitzende nein. Natürlich, den Konzernen sind lichtscheue Arbeitstiere, die pünktlich zur Arbeit erscheinen und malochen, bis die Staublunge zusammenfällt und auch noch bei einem Stundenlohn von 2 Euro fünfzig "Hurra, ich habe Arbeit." schreien, lieber, als diese penetranten Forderer, diese vom Sozialstaat verwöhnten Faulpelze, diese Schmarotzer. Aber, so etwas muss eine soziale Demokratie wohl aushalten. Ich habe einen Sitzplatz ergattert, beim Sturm auf die Einzelplätze drei alleinstehende, mittelalte und frustrierte Frauen mit dem Ellenbogen aus dem Weg geräumt, zur Strecke gebracht, das ist natürlich unsozial und frauenfeindlich. Ich sitze trotzdem fest und zufrieden auf dem hart erkämpften Sitzplatz, den ich auch nicht für eine arme Mutter, die allein einen Kinderwagen in die Hochbahn wuchten muss, verlassen werde, obwohl ich weiß, wie schwer diese Dinger sind. Erkämpft ist erkämpft. Ich lese, den Blick starr auf das Buch gerichtet, Lottmann, hermetisch nach innen abgeriegelt, meine Umwelt verschwindet im weißen Hintergrundrauschen. Kürzlich schrieb ich selbst eine grausame Rezension, Lesebeichte viel eher, zu diesem Lottmann, ein Versuch, ich kann das aber nicht, ich kann nur lesen, darüber reden, eher nicht. Konsumentenkrankheit, ich blogge dagegen an. Der Sitz wird immer heißer, die Heizung kennt nur zwei Einstellungen: "unglaublich heiß" und "sibirisch kalt", dazwischen nichts. Ich bin froh aussteigen zu dürfen. Die Wohnung ist leer, aber warm und gemütlich, die Familie ausgeflogen, ich stehe mal wieder abseits, kürzlich, bei einem Lampionumzug, den ich zufälligerweise begleiten durfte, fand ich mich (fast) allein unter Müttern, die mich wie ein Wesen von einem anderen Stern betrachteten, ungläubig. Die Mütter redeten viel miteinander, kannten sich alle, waren miteinander vertraut, wälzten Probleme und talkten small, die wenigen anwesenden Väter stampften leise und verbissen vor sich her, kaum ein Wörtchen verlierend und verwirrt drein schauend. Der Mann als Fremdkörper im Matriachat, es geht aber nicht anders, der Mann schafft ran und lebt dabei in Vereinzelung, ausgeschlossen, wenn er überhaupt noch zur Familie gehören darf und will und nicht schon längst seine Ruhe in einer Ein-Zimmer-Wohnung mit gemeinsamen Sorgerecht gesucht hat. Die Post gibt nicht viel her, also schmeiße ich den Herd an und lache wie Tim Mälzer, Essen ist der Sex des Alters, sagte mir kürzlich jemand, nun ja, Hauptsache es schmeckt. Draußen noch dunkler, irgendwann dann Kinderstimmen vor dem Fenster, der Alltag kommt nach Hause, kommt, wir malen noch etwas, ich will jetzt mal malen, sage ich, doch dann schlafen schon alle, müde und abgekämpft und ich dann irgendwann auch.
 
Fr, 16.11.2007 |  # | (590) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: fragmente



 
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