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Morgenlaune

(Enthusiatisches Großstadtleben auf dem Weg zum famous blogger.)

Ich erwache durch das rumpelnde Geräusch von Mülltonnen, die lautstark durch den Flur gezogen werden. Es ist fünf Uhr und ich verfluche diesen Kerl. Seit knapp einem Jahr geht das so, jeden zweiten Morgen werden die Mülltonnen per Hand auf die Straße befördert, dort stehen sie rum, bis die Müllabfuhr gegen Mittag kommt und sie leert, irgendwann nachmittags werden die geleerten Mülltonnen wieder lautstark auf den Hinterhof gezogen, doch dann stört das kaum jemanden. Als er mit seinem Treiben anfing, vor knapp einem Jahr, ging es gegen sechs los, vor sechs Monaten kam er gegen halb sechs, nun ist er um fünf schon da und mir scheint es, als würde er jedes Mal lauter werden. Ich kann nicht mehr einschlafen, stehe auf und schleppe mich müde ins Bad. Haare richten, die schlechten Träumen aus den Zähnen puhlen und einmal kräftig durchspülen, ich rasiere mich nicht, betrachte mich im Spiegel, die Spuren des Verfalls halten sich in Maßen, nein, keine tiefen Falten, keine Krater, ein paar ordentliche Hautunreinheiten, ausgetrocknete und abgenutzte Haut. Du wirst alt, sagte sie kürzlich, ich lachte, natürlich, die Zeit lässt sich nun mal nicht aufhalten, aber alt werden, was heißt das schon?

Draußen schlägt mir immer noch dieser kalte Wind entgegen, kleine, feine Regentropfen fliegen durch die Luft und treffen mit ihrer nassen Kälte jede unbedeckte Hautpartie. Nun ja, es hätte kälter sein können. An der Haltestelle stehen jeden Tag die gleichen Leute. Selbe Zeit, selber Ort, immer dieselben komischen Gesichter, müde, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Die Bahn ist leer, wer treibt sich auch schon rum, um diese Zeit, in dieser Kälte, in dieser Dunkelheit. Ich. Ich treibe mich rum, drehe die Lautstärke meiner Lebenserhaltungsmaschine etwas lauter und schaue mir, wie immer, die Gesichter der anderen an. Ich bin ein Voyeur, ich ergötze mich am Anblick anderer, nein, es ist geht nicht um das körperliche, in den meisten Fällen jedenfalls, es geht um den Menschen an sich, um das, was hinter der Maske der Gesichter stecken könnte. Dort sitzen zwei müde dreinschauende, Restalkohol transpirierende Bauarbeiter in dreckigen Klamotten, es scheint, als wollten sie jedes bekannte Klischee erfüllen, sie lesen Bild, gemeinsam. Neben mir strickt eine ältere Frau ganz vertieft vor sich hin, vor mir schläft ein Typ mit glatt rasiertem Schädel, den er an das kalte Fenster gelegt hat, bevor ich meine Musik anstellte, hörte ich dieses dumpfe Röhren aus seinen Kopfhörer, Dumpfsinn am Morgen, das stumpft ab. Irgendwann steigt ein unrasierter, etwas unangenehm riechender Penner ein, mit glasigem Blick und einer Wodkaflasche in der Hand. Der setzt sich doch glatt zu dir, denke ich, das könnte lustig werden, Abwechslung an diesem dunklen, frühen Morgen. Er setzt sich auf einen Einzelplatz, schaut resigniert aus dem Fenster und nimmt einen großen Schluck aus seiner Flasche. Prost, denke ich, jetzt wird dir sicherlich warm. An der Otto-Braun-Straße liegt Schnee, wahrscheinlich wird hier ein Film gedreht, sicherlich irgendetwas mit Bourne, in diesen Bourne-Filmen liegt immer Schnee in Berlin, glaube ich zumindest.

Die Bahn fährt fahrplanmäßig durch die Stadt, immer der gleiche Weg, vorbei an Häusern, die langsam wach werden, ihre zahlreichen Augen öffnen, einem neuen Tag entgegen gehen. Auf einem Plakat wird für Big Brother geworben, ach so, das fängt ja auch wieder an. Praktikanten, die sich freiwillig in eine Art Karnickelstall mit tausenden Minikameras sperren und bei jedem Furz abfilmen lassen, in der Hoffnung, irgendwann mal irgendwas Großes zu gewinnen oder berühmt zu werden. Im Prinzip könnte das als Experiment am Menschen ganz interessant sein, ganz nüchtern betrachtet, man muss nur die Idiotie dahinter ertragen können, den Blödsinn, den Stumpfsinn. Die, die dort mitmachen, können das vielleicht (oder sich einfach nur gut verstellen), doch können das die Zuschauer auch? Auf Dauer? Ein weiteres Plakat wirbt für eine Hochzeitsmesse. Für alles gibt es Messen, Hochzeitsmessen, Kindermessen, Immobilienmessen, Automessen, Bootsmessen, womöglich gibt es auch Scheidungsmessen oder auch, warum denn nicht, Bestattungsmessen. Dort könnte man wichtige Vorkehrungen treffen, im Falle, dass man zum Beispiel beim Big Brother - schauen am Stumpfsinn zugrunde geht. Nun ja, man muss es nicht schauen, aber Blogs sind manchmal auch nicht viel unterhaltsamer. Brian Molko haucht mir gerade ein theatralisches "Please don´t die" durch die Lebenserhaltungsmaschine in den Kopf, nein, Sterben steht für heute nicht auf dem Plan, auch nicht für morgen, überhaupt nicht, mittelfristig gedacht.
 
Mi, 31.01.2007 |  # | (728) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 
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