Warten auf den Weihnachtsmann (Der Titel gefällt mir nicht, vielleicht fällt mir noch etwas besseres ein.) In Rudow blinken lauter bunte Lämpchen. Das ist natürlich übertrieben, aber in einem kleinen Eckchen so beobachtet, ich habe es so gesehen, da kann ich nichts für. Bei uns ist es dagegen dunkel und kalt, ein Freund meinte einmal: "Ihr wohnt doch schon fast in Polen." Tiefster Osten, fast Sibirien, aber beschaulich. Vor allem im Winter, wenn es krachend kalt ist, Minus fünfzehn Grad, Windchill Minus dreißig, Sonnenschein, ohne Handschuhe sterben nach fünf Minuten die Fingerkuppen ab, beim Auftauen dann ein unbarmherziges Brennen, Glühwein intravenös, das wäre ein Traum. Mutige Schlittschuhläufer auf dem ächzenden Eis des Obersees, drüber spaziert und schief angeschaut, was nicht ist, kann nächstes Jahr noch werden. Der Weihnachtsmarkt war nichts für claustrophobische Menschen, insgesamt kein wirkliches Vergnügen und nicht einmal mit einer herbstlichen Dorfkirmes vergleichbar. Manchmal wünsche ich mich in ein klitzekleines Häuschen, irgendwo an einem fernen Gletscher, Sonnenaufgang über den Bergen, glasklare Luft, der Atem gefriert sofort zu kleinen Kristallen, die langsam zu Boden rieseln, an der Baumgrenze umkreisen hungrige Wölfe lauernd unter der grausamen Kälte leidendedes Wild, der Schnee ist verharscht, die Läufe halb verhungerter und schwacher Rehe blutig von den rasiermesserscharfen Kanten des gefrorenen Schnees, das schwächste Tier verliert den Kampf, die Wölfe überleben, gesättigt, in der Nacht als Sieger heulend, ich sitze auf der Terrasse, eingewickelt in dicke Felle und schaue den großen, weißen Mond an, der sich auf der gltizernden Eisfläche des Gletschers widerspiegelt, ein Haus am Meer wäre allerdings auch nicht verkehrt. Träume am Crepes-Stand. Fünfzehn Minuten warten für einen weichen, warmen Teiglappen, gefüllt mit Apfelmus, nicht für mich, bitte. Ich nehme eine Brezel und nein, keinen Glühwein, mir reichen schon die Ausdünstungen der mich umgebenden Menschenmassen, noch einmal Kettenkarussel fahren, Freiheit in luftiger Höhe, alles dreht sich im Kreis, das Gerät schwankt ein wenig, unsicher, neigt sich auf und ab, alles in 360 Grad, Mädchen kreischen laut, das ist ja wie im echten Leben, nur steh ich unten und mache ein schlechtes Foto. Schlecht. Das ist mein Stichwort. Nein, ich fühle mich nicht schlecht, es geht mir auch nicht schlecht, aber manchmal empfinde ich mich so. Ich sollte aufhören zu lesen, Gedichte und Geschichten, da wird man neidisch, fängt an, an sich selbst zu feilen, bis nur noch ein Stumpf übrig ist, traurig, hässlich, kaum der Rede wert. Stimmt nicht, Selbstbewusstsein ist der passende Gegensatz aus dem Emotionsbaukasten, meine Schwester hat ein kleines, dickes Schweinchen am Spiegel zu kleben, man sieht morgens garantiert besser aus als dieses ringelschwänzige rosa Dickerchen. Wir suchen die Lücke, stellen uns etwas abseits zum dahinfließenden Strom der vergnügungswilligen Menschenmassen, ich beobachte, denke, früher gab es Kinderchöre auf dem Weihnachtsmarkt, heute gibt es die ca. 1/2 Meter lange Bratwurst und Lumumba, ich gehöre nicht dazu, bin trotzdem ein Teil davon, sie drängeln, schubsen, murren, lachen, rauchen, rennen oder bleiben stehen. Am Ende flieht die ganze Familie, die Kinder hatten ihren Spaß, besonders der eine, der ganz oben auf meinen Schultern saß, er hatte den Überblick, hob sich ab von der Masse, kindliche Betrachtung von oben, anderes Blickfeld sowieso. Für den Notizblock (Fragen, die demnächst erläutert werden sollten): Gibt es einen zweiten Weltraum? (kindlich-philosophisch, abgeleitet aus "Ich hab dich bis zu dem anderen Weltraum lieb." - eine dankend angenommene Liebeserklärung, erwidert, den Hinweis auf die eventuelle Unmöglichkeit weggelassen, Kinder soll man träumen lassen.)
|
(geborgt bei flickr)
Online seit: 08.02.2006
Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57 Links: ... Home ... Blogrolle (in progress) ... Themen ... Impressum ... Sammlerstücke ... Metametameta ... Blogger.de ... Spenden Archiviertes:
Suche: |
|