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Herr Bufflon, böse und gemein

Grundsätzlich bin ich Optimist, Idealist, suche ein erreichbares Ziel und gehe den dazugehörigen Weg, grundsätzlich ist ein doofes Wort, finde ich, denn es lässt Lücken, durch die man schlüpfen kann, Schlupflöcher, durch die man entfliehen, es trotzdem anders machen kann. Grundsätzlich ja, aber. Deswegen entfliehe ich auch ab und ab dem Optimismus, dem Idealismus, hinein in die Welt des Schlechten, des Bösen, in den Alltag der Menschen. Gemeinsam mit einem Freund wälzen ich mich dann in der Schlechtheit dieser Welt, der Boshaftigkeit der uns umgebenden Zeitgenossen, bei Tee und Gebäck werten wir angebliche Intrigen, Fallgruben, Ränke unserer Kollgegen aus, reden über Politik und Gesellschaft, regen uns auf und lachen darüber, erst traurig, dann sarkastisch und enden zynisch, unsere eigene Boshaftigkeit immer im Blick, wir sind nicht anders, nicht besser, auch wir sind nicht die Guten.

Gestern wagte sich die Familie in gemeinschaftlicher Runde in einen dieser überladen adventsgeschmückten Einkaufstempel, Schuld daran war ich, denn am Tag zuvor passierte mir ein Missgeschick, ein zerbrechliches Geschenk zerbrach, natürlich nicht mit Absicht, aus Versehen und trotzdem schlecht. Den Spruch "Scherben bringen Glück." habe ich absichtlich erst nach Glättung der allgemeinen Wogen angebracht, Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Im sich drehenden Karussel der Parkhausauffahrt musste ich einen vor sich hinschleichenden Audi-Fahrer, Kennzeichen ME-irgendwas, mit gekonnter und gefühlvoller Drehung am Lenkrad überholen und in einem ersten Anflug von Boshaftigkeit dachte ich "Provinzler!" und hätte ihn gern aus der Bahn geworfen, natürlich war das intolerant, ungerecht und kindisch. Später entschied ich mich, so mache ich das übrigens immer, den kürzeren Weg zum Lieblingsparkplatz, der sich nach kurzem Blick um die Ecke als frei herausstellte, zu nehmen, anstatt drei oder vier Kilometer durch die dunkle Hölle des Parkhauslabyrinths zu schleichen, und legte einen kurzen 100m-Sprint entgegen der Fahrtrichtung der Einbahnstraße ein, es kam schließlich niemand entgegen. Nicht gerechnet hatte ich mit Familie Schneemann, allein diese Bezeichnung der vielleicht und unter anderen Umständen sympathischen Familie ist schon böse und schlecht, die ich spontan so nannte, weil alle die gleiche Grundstatur hatten, kugelrund. Sie erkannten meinen scheinbaren Fehler sofort und der in Trainingshose und abgewetzter Lederjacke gekleidete Sohn, diese Tatsache war offensichtlich, kommentierte mein Fahrmanöver lautstark, wir hörten allerdings nichts, denn auch französische Familienkutschen sind schallgedämmt, und mit einer winkenden Bewegung der Hand vor dem Gesicht. Ich winkte freundlich zurück. Wir lachten, als ich einparkte, schleppten uns in Richtung Menschenmassen, Kompensationskäufe nennt man das wohl, so kurz vor der Mehrwertsteuererhöhung (grässliches Wort, genauso wie "grundsätzlich") und trafen, natürlich, am Fahrstuhl auf die immer noch sehr erregte Familie Schneemann, die diesen Namen nach eingehender Betrachtung tatsächlich verdiente. Wie böse, schlecht und gemein. Der Sohn winkte zwar nicht mehr vor dem Gesicht herum, aber die Mutter kommentierte (man stelle sich an dieser Stelle bitte die nicht wirklich zarte Stimme der Hexe Babajaga vor) mein Fehlverhalten mit:

"Ach, da is ja der Kerl, der ma fasst umjefahrn hätte."
"Junge Frau, sie waren nicht zu übersehen, deshalb wäre und ist Ihnen auch nichts passiert. Außerdem laufen Sie mit Krücken, meinen Sie, ich wäre so herzlos und gemein und würde Sie einfach umfahren?"

So hätte ich antworten können, tat ich aber nicht, die Angebetete lächelte mich an, schelmisch, ich lächelte zurück, die Kinder schauten komisch. Wer sich nicht wehrt, muss weiter bearbeitet werden, so eine Fahrt mit dem Fahrstuhl kann dauern und deswegen legte der Sohn gleich nach:

"Leuten, die rechts von links nicht unterscheiden können, sollte man den Führerschein entziehen. Meine Jüte, wie kann man nur so blind sein. Verbrecher."

Es ging noch so weiter, die Mutter hetzte mit, der Vater grinste debil, ich wollte entgegnen, dass ich sehr wohl rechts von links unterscheiden kann und die Aufregung für überzogen hielt, weil ich diese Ordnungswidrigkeit vorsätzlich, also bei vollem Bewusstsein, begangen hatte, aber keine Ordnungsmacht in der Nähe war, die dies hätte feststellen und ahnden können. Ich hatte aber auch ein wenig Verständnis, über irgendetwas musste man sich ja schließlich aufregen, das Wetter war eigentlich toll, darüber konnte man nicht meckern, so ein Grenzen überschreitender Autofahrer kam da eigentlich wie gerufen. Prekariös fiel mir an dieser Stelle noch ein, hätte ich dieses Wort benutzt, hätten sie mich wohl für einen Zahnarzt gehalten und Zahnärzte sind ja auch grundsätzlich schlecht. Wie Autofahrer. Familie Schneemann also tutterte gemeinsam vor sich hin, immer mit giftigen Seitenblicken, Familie Bufflon lächelte zu diesem erheiternden Spiel, Menschen sind schließlich nicht zu Schaden gekommen, auch wenn Familie Schneemann so tat als ob, und als die drei Kugeln den Fahrstuhl in Richtung "saubillig" verließen, wollte ich ihnen fast zum Abschied winken und "Gut Flatscreen" wünschen, ich ließ es aber, nicht das sie mir am Ende noch Boshaftigkeit unterstellt hätten.
 
Mo, 04.12.2006 |  # | (627) | 18 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 
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