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S7, Friedrichsfelde Ost

Du stehst morgens in der S-Bahn, stehst, weil du sowieso wieder den ganzen Tag sitzen und auf Fenster starren wirst, Fenster, in denen sich virtuelle Dinge abspielen, weit weg von allem Realen, meinst du jedenfalls. Stehst und liest Zeitung, die moderne Zeitung, selbst zusammen gebastelt und frisch auf dein Smartphone geliefert, so wie das inzwischen neunzig Prozent der S-Bahn-User tun, die anderen zehn Prozent lesen Boulevardblätter, weil sie morgens um sechs nichts anderes ertragen wollen. Vielleicht.

Du stehst auch, weil du keine Lust hast, dich zwischen zwei Menschen zu drängen, die links und rechts auf den Dreierbänken sitzen und die Mitte immer frei lassen. Abstand halten. Kaum einer setzt sich dort hin, wer will schon der Belag im Sandwich sein und sich von zwei Leuten aufs Smartphone schauen lassen, denkst du. Vielleicht ist das aber auch wieder eine deiner Psychomacken.

Und Warschauer Straße steigen wieder ein paar Betrunkene ein, du riechst das gleich, diese süßlichen Ausdünstungen, Cola und irgendetwas Hochprozentiges, du hast ja auch jahrelang danach gerochen, wenn du morgens im Berufsverkehr in die S-Bahn stolpertest und dich fragtest, wohin all diese müden Menschen fahren, in langweilige Büros, wahrscheinlich, Orte, an denen du niemals nie landen würdest. Ha. Ha.
 
Mi, 17.08.2011 |  # | (705) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

1 mg Subjektivität

Ein Mann der auffällt, in der nicht mehr ganz so vollen S-Bahn. Hip. Hipster, kommt her, wo alle Hipster dieser Stadt her kommen, fragen Sie mal diese oder jenen, sie werden Ihnen immer die gleiche Antwort geben. Langweilig. Der Mann ist das jedenfalls nicht, er fällt auf. Die Kleidung modisch, das derzeit angesagte Design interpretierend, wie sich das gehört, in Hipster-Kreisen. Man selbst glaubt ja nicht an Mode und liest lieber Kochzeitschriften (und sieht auch so aus). Jeden Morgen zieht man sich etwas an, um nicht nackt in der S-Bahn zu stehen. Man sucht sich Kleidung nicht aus, man kauft sie. Geht los, betritt die Läden, die man schon immer betreten hat und die glücklicherweise immer und überall gleich aussehen, Berlin, Chemnitz, Cuxhaven, sogar in Paris, ja, in genau diesem Paris, findet man sie, äußerst praktisch. Und es ist einem egal, was gerade angesagt sein soll, Farben, Schnitte, Muster usw. alles egal. Es wird genommen, was da ist und halbwegs gefällt. Dem auffälligen Mann geht es anders, der sieht ganz anders aus, als alle anderen, die müde in ihre Zeitungen blicken, auf Smartphones, Bücher, die schlafen oder schniefen, der trägt smart seine hippe Mode, hört gelassen geheime Musiktipps für das neue Jahr, schnieft aber dann und wann ein wenig zu laut, Tempos scheinen gerade nicht so angesagt zu sein.
 
Fr, 07.01.2011 |  # | (669) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

Man kann nicht immer nur nett sein

Warum, fragte ich den Herrn, der im Joggingdress und Gartencloggs die sehr frühe Bahn betrat und versuchte, dem Fahrscheinautomaten einen Fahrschein zu entlocken, während ich nichts besseres zu tun hatte, als alle anderen Menschen mit morgendlicher Abscheu zu beobachten und zu bewerten, warum also betreten Sie diesen Ort der abscheulich intimen Enge in einem solchen, unglaublich hässlichen Outfit? Erklären Sie mir bitte, aus welchem Grund ich Ihren Kleidungsstil, den ich aus Kleinstgartenanlagenvereinen bereits zu Genüge kenne und aus zutiefst empfundener Abscheu selbst nie niemals nicht pflegen werde, hier und jetzt, an diesem öffentlichen Gefängnis, ertragen muss? Natürlich erklärte er mir nichts, denn er versuchte angestrengt mehrere Stationen lang eine Münze in den Fahrscheinautomaten zu stecken, die dieser aber immer wieder und wieder angewidert ausspuckte, ja, diesem Pflegel regelrecht vor die Füße spie, worauf er mit wehendem Jogginganzug die Bahn verließ und im modischen Niemandsland verschwand. Zum Glück.
 
Fr, 16.04.2010 |  # | (509) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

M6

Die Straßenbahn, die Straßenbahn. M1 und M6 liefern sich ein Wettrennen, zumindest wenn es nach den Anzeigen am modernen Haltezeitenmonitor geht, der meistens stimmt, es ist nicht alles schlecht, im Berliner Nahverkehr. Na gut, manchmal wird die Definition einer Minute etwas weniger strikt ausgelegt, dann hat eine Minute mal schnell neunzig Sekunden oder hundertzwanzig, aber meistens stimmen die Zeiten, ich muss das wissen, denn ich beobachte die Anzeige genau.

Und meine Umgebung.

Dieser Mann zum Beispiel, wie er angerannt kommt, nicht hetzend, aber trotzdem die Beine ordentlich schwingend, ganz bestimmt und wohl wissend, dass in Kürze eine Bahn hier einfahren wird und er bestrebt sein muss, diese als erster zu betreten, um sich einen Sitzplatz zu sichern, möglichst einen Einzelplatz am Fenster. Aber vorher noch Rauchen. Hastig am Glimmstengel ziehen, schnell den Rauch wieder aus der Lunge blasen, durch die gelben Zähne hindurch, am grau-gelben Bart vorbei, hinaus in die milde Spätsommerluft, wann kommt denn endlich diese blöde Bahn? Die Anzeige verspricht sofortiges Eintreffen, ungeduldig blinkt das Fahrtziel dieser Linie in einem geheimen Takt, blink blink blink, die Realität sieht leider anders aus. Der Mann krault sich den Bart, ziept und zerrt an seinem kurzärmligen Holzfällerhemd herum und schaut der jungen Frau, die neben ihm ebenfalls gespannt auf die Bahn wartet, in den Ausschnitt.

Sardinenbüchse.

Seitdem die S-Bahnen streiken, ist die Fahrt mit der Straßenbahn unangenehm geworden. Wo man vor kurzem noch freie Sitzplatzwahl hatte, blicken einem nun müde, gerötete Augen ins Gesicht, gar nicht mal fragend, nicht einmal hämisch oder grinsend, meistens ausdruckslos und müde. Kleine, heimlich Blickgefechte mit entzückenden Damen sind in diesem Klima der Überfüllung natürlich ebenso ausgeschlossen, wie die Lektüre schwerstintellektueller Schwarten, ich halte mich an die Abenteuer eines gwissen Pirx. Der Mann im kurzärmligen Holzfällerhemd hastet durch die Gänge, wobei man ja nicht von Hasten reden kann, es ist eher so ein Drängeln mit irrsinnigem Blick und ausgefahrenem Ellenbogen, wahrscheinlich hat er irgendwo einen freien Platz erblickt, den er nun irgendwie ergattern, für sich sichern muss, denn das hier ist der tägliche Kampf ums Sitzen, den er anführt, mit wehender Nikotinfahne.

Und es gibt nichts Schlimmeres, als kalter Rauch in überfüllten Straßenbahnen.
 
Fr, 11.09.2009 |  # | (669) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

In die große Stadt geschaut

Einen Tag lang blauer Himmel, ganz weit in der Ferne sah man eine einzelne, verwaiste Wolke ziehen, wolkenloser Sommerhimmel und dazu ein warmer Wind, der, wäre ein See in der Nähe gewesen, das Wasser gekräuselt und leichte Schaumkämme in sanften Wellen ans Ufer getragen hätte. Am nächsten Morgen dann wieder Weltuntergangsstimmung, dunkelgraue bis dunkelblaue Wolken, in der Bahn eine leichte Schwüle - Mensch und Material immer noch vom Vortag erhitzt - und draußen tobt der düstere Sommer.

Wolkenturm

Vielleicht gibt es mal wieder ein schönes Gewitter?

Überhaupt: Die Bahn. Seitdem die S-Bahn nicht mehr fährt, muss man in der sonst so angenehm stillen und verlassenen Tram stehen, mit ständig schrumpfendem Platz auskommen, in irgendeiner Ecke, sich irgendwie festhaltend im Stehen lesen. Jeder bleibt in seiner eigenen Welt und während andere an Seen leben, entspannen und bei Torte und Tee über die bessere Gesellschaft philosophieren, sitzen wir hier und beugen uns dem Los der zur Gehaltsarbeit verdonnerten Schichten, stehen pünktlich an der Haltestelle, um ja nicht die Bahn zu verpassen, man würde ja schief angeschaut, von den oberen Zehntausend aus der Chefetage, täte man den Kampfplatz für das Wohl der Unternehmung zu spät erreichen, das wäre skandalös.

Es ist auch gar nicht schlimm, ein öffentliches Nahverkehrsmittel zu besteigen, zu normalen Geschäftszeiten tut es nicht weh, natürlich ist es voll und eng und man muss seine Atemluft mit Menschen, mit denen man üblicherweise nichts zu tun hat, teilen, aber es geht vorüber. Sicher ist eine Tour im offenen Coupé angenehmer und vor allem auch erholsamer, aber was soll man tun? Der Weg nach oben ist lang und beschwerlich und, nun ja, niemand bekommt etwas geschenkt und niemand ist etwas besseres. Abgründe hier und dort, da bin ich mir sicher.

In der Bahn sitzt kaum jemand, der als Werbeträger in Frage kommen würde, keine roten Irokesen, keine iPhoneaddicts, niemand weiß hier, was der Appstore ist, hier brauchen nur die Damen mit den gefährlichen Fingernägeln teure Superflatrates, um vom Alexanderplatz bis zum S-Bahnhof Marzahn mit Tina zu telefonieren, um über heiße Nächte mit Sowieso berichten zu können, der Rest schweigt und erträgt die tägliche Last des öffentlichen Nahverkehrs. Und morgen wieder werde ich auf mein Rad steigen und die frische Luft, die Kühle, den Fahrtwind genießen, werde in die Pedalen treten und frei sein, frei vom Fahrplan, frei von der stickigen Luft, frei von den vor sich hin starrenden Menschen, nur für diesen einen Tag, denn übermorgen sind wir wieder alle gleich, die Straßenbahnmitfahrer der Linie M6.

(Und was es noch so gab: Passen Sie auf Ihre Überweisungen auf. - Vergessen Sie nicht die reale Welt. - Überlegen Sie genau, wo Sie Ihren Dienstwagen abstellen.)
 
Di, 28.07.2009 |  # | (503) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

M6

Junges Pärchen in der Tram. Er erinnerte mich an einen vergangenen Freund, der immer unmögliche Witze erzählte und auch sonst viel Unsinn. Sehr viel. Sie sah ganz hübsch aus, er ganz nett. Er sprach irgendwie kumpelhaft mir ihr, wollte ihr aber eigentlich an die Wäsche, was ich auch gewollt hätte, als ich noch jung und Schulabbrecher war. Er fragte sie, ob sie schon in dem neuen Saturn am Alex war, worauf sie klug antwortete: Gibt es dort nicht genau die gleichen Sachen, wie in jedem anderen Saturn? Natürlich. Klug. Ich werde mir diese Antwort merken und an anderer Stelle, in etwas abgewandelter Form anbringen: Gibt es nicht in jedem Schuhladen genau die gleichen Schuhe?

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Ich hasse es, Tram zu fahren. Ich liebe es, Tram zu fahren. Eine wahre Hassliebe.

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Eine dicke Dame in rosa Jogginganzug, unwillkürlich muss ich an Kurt Krömers Zementa denken, diese kleine, dicke Pummelfee, setzt sich neben mich und ihren kleinen, stinkenden Pikinesen auf ihren Schoß. Hier wird nicht gefurzt und auch nicht der schlechte Hundeatem durchs Abteil gehechelt, denke ich und verkrieche mich hinter meine Lektüre.

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Das junge Pärchen setzt sich. Er fragt sie nach ihrem Exfreund, sie erzählt Verworrenes, als könnte sie mit Liebe nicht viel anfangen, erinnert mich ein wenig an Maxim Billers "Liebe heute". Er kann auch nur Verworrenes beisteuern und lacht immer so laut und hässlich, während er ihr immer so kumpelhaft zu nahe kommt. Was willst du denn nun? Denke ich und sie wahrscheinlich auch, vielleicht sind die Grenzen hier aber auch schon klar und man tut vielleicht nur so ein bisschen. Angetäuschte Liebelei. Solange es nicht in angetäuschtem Sex endet, dürfte das vielleicht auch lustig sein.

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Eine Horde Schüler irgendwo aus Deutschland fährt from innercity durch den urbanen Moloch in die Plattenbausiedlung. Mal Hartz-IV kucken oder so. Der eine fragt den anderen, was da wohl für Leute drin leben mögen, in den Plattenbauten, man ist sich einig, dass es auf jeden Fall keine guten, schönen, intelligenten sein dürften. Idioten, denke ich.

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Das junge Pärchen befummelt sich. Was ist das hier? Ne Übung? Frage ich natürlich nicht, ich war ja auch so. Gefühlsvergessen und merkbefreit. Erst nach drei Jahren hatte ich gemerkt, das meine erste große Liebe, meine erste große Liebe war. Da war dann aber auch schon die zweite und dritte vorbei und bei der vierten hab ich es dann wieder ganz groß vermasselt. Und trotzdem irgendwann angekommen. Ach, sollen die doch machen, was sie wollen, wenn es Spaß macht.

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Heute wieder, M6, vielleicht beobachte ich ja auch mal Sie.
 
Do, 30.04.2009 |  # | (492) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

Tausend Krähen über dem Hackeschen Markt

Es gibt nur noch Grau. Grau und dann die Dunkelheit. Man geht aus dem Haus, es ist noch Nacht, jedenfalls fühlt es sich so an, denn es ist stockdunkel und kalt, vielleicht nieselt es auch, manchmal fällt sogar ein wenig Schnee in winzig kleinen Flöckchen und die allgegenwärtigen Straßenlaternen weisen einem den Weg, in gedämpftem, orangefarbenem Licht, diffus und möglicherweise auch die Augen schonend, trotzdem wird man ein entscheidendes Gefühl nicht los: Hier liegt die Welt am Boden. Es wird einfach nicht mehr hell. Der Sonnenaufgang ist nur angedeutet, na klar, sagt man sich, es ist jetzt schon acht oder halb neun und es ist natürlich heller als um sechs oder halb sieben, und doch befindet man sich den ganzen Tag in einer Art grauem Loch, der tristen Vorstufe eines sogenannten Schwarzen Lochs, dem Loch aller Löcher, dem absoluten Abgrund. Natürlich ist das nur ein Gefühl, aber ein sehr reales, vor allem wenn man müde aus dem Fenster einer Straßenbahn auf die vielen vorbei ziehenden Baustellen schaut, auf denen dick eingepackte Arbeiter noch emsig arbeiten, bevor Väterchen Frost einen kalten Gruß aus dem Osten herüber schicken wird. Bilder ziehen vorbei und Gedanken bohren an der Schädeldecke. Von innen.

Du, wollte ich sagen, aber da waren wir schon eingeschlafen, also sagte ich es dir im Traum, der dann auch irgendwie abglitt, in diese Untiefen der hyperromantischen Liebesträume, in denen immer alles gut ist, in denen immer die richtige Musik zum richtigen Zeitpunkt spielt und immer die richtigen Menschen am richtigen Fleck sind. So träumte man wohl schon immer vom Paradies. Also murmelte ich nur vor mich hin, während die reale Welt hinfort dämmerte, natürlich lief noch der Fernseher, denn zum Lesen waren die Augen längst schon zu schwach und der Kopf schon zu voll, eine Hintergrundsprecherin sagte noch etwas über die Menschen auf einer Tattoo-Convention, schöne und weniger schöne Menschen ließen ihre empfindliche Haut zerstechen und mit Farbpigmenten füllen, der eine so, die andere so, das ist natürlich unglaublich langweilig und deshalb auch kein Wunder, dass wir beide eindösten, in unserer übermüden Friedlichkeit.

Was am Ende des Tages bleibt, sind ein paar Zeilen, aber wenig Zeit. Niemand will sich darüber beschweren, doch die A. beschwerte sich jüngst über einen Mangel an Zeit, aber irgendwie auch am Thema vorbei, denn es ist nun einmal so, dass der durchschnittliche Mensch nicht stundenlang aus dem Fenster schaut oder besser noch in die Fernsehröhre, sondern irgendwie unsinnige Tätigkeiten für eine finanzielle Entlohnung übernimmt, die ihm sein Leben absichert. Mehr oder weniger. Nicht jeder schafft das. Deswegen sollte man sich auch nicht beschweren, schon gar nicht die A., aber nun gut, es wird einem auch schnell etwas unterstellt. Keine Zeit also, aber ein paar Zeilen bleiben, auch wenn sie nur ein Konzentrat sind, eine zusammen gestauchte Beobachtung, die Kurzfassung von dem, was man für sein Leben hält.
 
Mi, 17.12.2008 |  # | (556) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

Morgenstund

Stille. Ein Blick aus dem Fenster verrät: Heute einen Pullover anziehen. So bleibt man immer Mutters Sohn. Mit einem Lied auf den Lippen die Wohnung verlassen, schon früh bin ich ready for the floor.

Um mich herum Nebelschwaden rauchender Raucher, bitterer Rauch in endlich klarer Morgenluft, klebrig, teerig, ätzend, ich kann kaum auf das Werbeplakat vor mir schauen, die Nebelschwaden versperren mir die Sicht. Auf diesem Plakat steht ein deutsches Auto vor einer nackten Betonwand, darüber Himmel. Wertigkeit neu erleben. Hart, zäh, flink, fällt mir dabei ein, das ist sicherlich so nicht gewollt, neue Werte gehen anders. Werden die sich gedacht haben, die Genossen. Stilles Lächeln. Die Rolltreppe quietscht andächtig vor sich hin und singt ein melancholisches Lied über die vergessene letzte Ölung.

"Ölt mich endlich, ihr undankbaren Menschen, so ölt mich doch, ihr ignoranten Penner. Täglich trage ich euch von unten nach oben, von der Dunkelheit ins Licht. Aber ihr tretet mich mit Füßen, mit tausenden Füßen in dreckigen Schuhen, jeden Tag, und seid dabei undankbar und schlecht."

Eine mürrische Rolltreppe, irgendwann wird der Servicetechniker kommen.

Mir gegenüber sitzt ein Typ und hört laut Guns N'Roses. Brrrr. Und das am frühen Morgen. Dieser Axl Rose, war das nicht der, der sich in Radlerhose und Lederjacke presste, der mit rotem Bartansatz, fettigen Haaren und komischer Sonnebrille? Brrrr. "November Rain". Diese balladeske Ballade, diese Ballade aller Balladen, das ganze Personal wird aufgefahren und es wird geliebt, geheiratet und gestorben und dieser Slash ist natürlich auch dabei und fährt ein wirklich superes Solo auf, mit Zylinder auf der lockigen Mähne. Trotzdem. Brrrr. Aber vielleicht trügt mich auch meine Erinnerung, vielleicht lag ich ja schluchzend und heulend vor dem Fernseher und wollte so sein, wie Axl Rose, mit langen Haaren, gerötetem Bartansatz und Radlerhose, mit ner Kippe im Mundwinkel und der Flasche Whisky in der Hand? Frevler der ich bin, denke ich weiter, an Bon Jovi, brrrr, und Aerosmith, brrrr, obwohl, nichts gegen Liv Tyler. Aber die ist ja nicht Aerosmith, sondern Tochter. Im Kopf schwirrt mir dann ein wenig Geknarze und Gepiepse eines dieser schwer verständlichen elektronischen Musikinstrumente - die viele auch gar nicht als Instrumente, sondern als Teufelswerk bezeichnen - herum, irgendwas mit Hüllkurve, Drehreglern für alles mögliche und einem Filter zum dran rumspielen, das mag ja auch nicht jeder.

Stille, Fotoapparat vergessen, aber dann ein wenig Monolake, ich sollte wieder mehr Bukowski lesen.
 
Do, 25.09.2008 |  # | (663) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

M5

Ein Mann mit verschlafenem Gesicht, unrasiert, schläft immer wieder ein, der linke Arm, den er mit dem Ellenbogen gegen das Fenster stützt, fällt ständig herunter, dann erschrickt er, zuckt zusammen und wird kurz wach. Ab und zu öffnet er die Augen, nein, er versucht die Augen zu öffnen, aber es gelingt ihm nicht, immer wieder kippt er weg, in die Halbwelt des Schlafes. Schläft er, lässt er dabei den Mund auf, das sieht dann schlimm aus. Sein Handy klingelt, er geht ran, murmelt Dinge ins Mikrofon und schläft dabei immer wieder ein und zuckt dann zusammen und murmelt und schläft wieder ein, wacht wieder auf und so weiter. Auf seinem dreckigen, grauen Arbeitsoverall steht: Im Auftrag der BVG.

Eine Frau wankt den Weg an der Haltestelle entlang, sie trägt rote Schuhe, die sexy sind, in denen sie aber nicht laufen kann. Sie sieht aus, als wäre sie gerade ebend aufgestanden, dabei ist sie gar nicht gerade ebend aufgestanden, sondern schon vor einer Stunde oder auch schon vor zwei Stunden, vielleicht hat sie aber auch gar nicht erst geschlafen, ihr Gesicht wirkt verquollen, sie hat sich geschminkt und versucht, sich zu verstecken, die Müdigkeit zu vertuschen, als sollte niemand sehen, dass sie fertig und irgendwie auch am Ende ist. Also schaue ich weg. Dann schaue ich wieder hin, in ihrem Gesicht ein Anflug von Lächeln, ich nicke ihr kurz zu, ganz unverbindlich und entschuldige mich damit für meine Vermutungen, diese vermeintlichen Einblicke in ihr Leben, die am Ende aber nur ungewiss bleiben, wahrscheinlich völlig falsch sind.

Die Bahn fährt weiter, die Sonne scheint, Autos fahren und auch Fahrradfahrer, wieder ein Tag und dann noch einer und noch einer und immer so weiter, ein wenig Meer wäre jetzt nicht schlecht und ein warmer Sommerwind und Sand zwischen den Zehen, aber Träume bleiben am Ende eben immer nur Träume.
 
Fr, 18.07.2008 |  # | (749) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

Ringbahn

Der Fleischer fragte mich, ob es ein wenig Melancholie sein dürfte. Oder war es Meer? Es war wohl mehr, aber auch das war mir recht. Dann fuhr ich Straßenbahn. Ein kleines Mädchen hatte man mit Deutschlandfahnen bemalt, ich musste an die Zweienhalbjährige denken, die im Fernsehen gezeigt wurde, sie war eigens für diesen Zweck trainiert worden, in der vierer Abwehrkette: auswendig lernen, Video drehen, Youtube, Fernsehen. Sie konnte die Namen aller deutschen Spieler aufsagen, auch die Namen der Trainer, alles in noch leicht unverständlicher Kindersprache, im Hintergrund hörte man die Mutter soufflieren, so geht das also heute mit den Kindern. Als irgendwann mal Xavi auflief, riefen die Jungs laut "Xavi" und zwar im Chor, sie hatten in einer Zeitung ein Poster von ihm gefunden, dieses ausgeheftet, einer hatte es vorgelesen und beide haben sich den Namen zum Gesicht eingeprägt. Solche Momente der Überraschung zu entwürdigen, diese also anders als rein gedanklich aufzuzeichnen, immer feste drauf mit der Kamera, den privaten Papparazzi spielen und dann hochgeladen, iss doch witzisch, nur um irgendwie Aufmerksamkeit zu erzeugen und wenn man dies nicht selber schafft, dann müssen eben die Kinder ran, die haben ja auch den niedlichen Kinderbonus, nein, das geht absolut nicht.

Die Treppe am Bahnhof herunter gehüpft, Hose gerutscht, könnte mal wieder mehr essen, etwas aus dem Meer essen, vielleicht, aber es gibt doch immer so viel zu tun. Menschenansammlung. Unterschwelliger Hass gegen den öffentlichen Nahverkehr, Menschen stapeln sich auf Bahnhöfen, an Haltestellen, man muss plötzlich Gerüche ertragen, die man an sich selbst gar nicht erst erleben möchte, wandelnde Feuchtgebiete, Schweiß, alte Klamotten, Alkoholausdünstungen, kalter Zigarettenrauch und was es sonst noch alles an menschlichen Geruchsausscheidungen oder auch Geruchsanhaftungen gibt. Unerträglich, nur der Gedanke. Dann schien mir auch noch die Sonne auf den Kopf und eigentlich, ja, eigentlich, ja, genau. Eigentlich. Aber doch. Ringbahn, Landsberger Allee. Vor Jahren stand hier noch der alte Schlachthof, den auch Döblin so plastisch beschrieben hatte. Auf dem Weg ins SEZ, das war noch Kindheit, sah ich einmal, wie das Vieh hinein getrieben wurde, umgeben von Angst und Tod, obwohl die Tiere ja gar nicht wissen konnten, dass sie diesen Ort nur noch gut gekühlt, ausgeweidet und blutleer verlassen würden, um dann von hungrigen Menschen verspeist zu werden. Die Industrialisierung der Nahrungskette. Aber nein, ich bin weder Veganer noch Vegetarier, ich halte nur die Eindrücke fest.

Irgendwann kam dann eine Bahn und ein Fensterplatz war frei, auf den ich mich setzte um hinaus zu schauen und zu sehen, was es zu sehen gab. Neben mir zwei Männer die Bier tranken. Bis heute hat sich mir die Notwendigkeit, in öffentlichen Verkehrsmitteln Bier zu trinken, nicht erschlossen, im Gegenteil, das ist doch radikal abzulehnen, diese vorgezeigte Prolligkeit, dieses Zischen und Klacken und Schlucken und Glucksen, warum machen die das? Ich kann es mir nicht erklären. Vorbei zogen Graffiti, die S-Bahn-Strecke als öffentliche Galerie, man hatte ja selbst mal Träume, die man versuchte, nächtens zu verwirklichen, also dieses mit Adrenalin gefüllte Traben über Stromschienen, dieses Lauschen und Hören und dann schaute man, ob jemand kam und wenn nicht, machte man sich ans Werk, ach, das sprühte und roch so gut, später lag man im Bett und war ganz berauscht, von dem Gedanken und überhaupt fragte man sich, ob man nun Kunst veranstaltet hatte, eine Kunst, die nur wenige akzeptieren, weil sie gesellschaftlich überhaupt nicht anerkannt ist, lieber Musikantenstadl oder Wetten dass...?!, nun ja, so ist das nun mal.

Gesundbrunnen, die Bahn fuhr ein, Umsteigen, in Richtung Wannsee, die Gedanken kamen aber mit, sie rissen nicht ab und die letzten vier Stationen hatte ich mich nicht gelangweilt, beim Hinausschauen aus den zerkratzten Fenstern der S-Bahn.
 
Di, 17.06.2008 |  # | (667) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 

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