1733 "Stell dir vor," sagte ich zu mir, als ich die Straße entlang schlenderte, das mürrische, alte Hundevieh im Blick und einem riesigen Kackhaufen in der Mitte der Straße ausweichend, "Stell dir vor, demnächst liegen hier wieder massenweise blütenweißer Schnee." Und dieses Selbstgespräch war so furchtbar banal, absolut nichtssagend, so frei von jeglichem gedanklichen Überbau, so ungeheurlich nach klarer Schneeluft riechend, den Winter scheinbar herbei sehnend und besorgniserregend blütenweiß wie die Werbung eines Waschmittelherstellers, dass ich mich sogleich schämte und beschloss, diese Scham kurz in meinem Weblog zu erwähnen, weil ich das Gefühl hatte, dass die Füllstandsanzeige der Belanglosigkeit sich nun gen Null bewegte. # Das ist natürlich Quatsch. # Guten Tag, Melancholie, und Tschüss, Ironie. Wenn Blätter fallen, Pflanzen faulen, die Tage ihr glänzendes Licht verlieren und man morgens den modrigen Geruch eines feuchten Abschieds in der Nase hat, wenn nachts Telefone klingeln und man sich Sorgen machen muss, um diesen und jenen, was soll man noch feingliedrigen Humor veranstalten, der am Ende doch wie Nadeln sticht, diesen und jenen? # Manchmal träume ich von einer Südstaatenveranda. # Wenn Kinder aus Legosteinen Skaterparks für Fingerboards bauen, dann darf man sie wohl gesund nennen. Manchmal wäre auch ich gerne Kind. Obwohl, oft behauptet Frau, dass Mann immer Kind sei, das stimmt aber nur teilweise. Leider. # Das erstaunte Gesicht der Nachbarin, die Einspruch gegen Googles Streetview erhoben hat und der man natürlich trotzdem virtuell in den Garten schauen, ihren alten Wagen, den Pool und auch die Ligusterhecke, wie sie vor ein paar Jahren aussah, sehen kann (Bing, Vogelperspektive). Man sollte sich noch mehr Gedanken machen, sagte sie. # Das eine Kind schießt Fotos aus dem Auto heraus. Und sonst auch. Es fotobloggt, sozusagen.
1726 morgens um dreiviertel acht im sagenumwobenen Prenzlberg einen Parkplatz zu finden, scheint reine Glückssache. Die sagenumwobenen Einwohner dieses Prenzlbergs sind vermutlich sämtlichst selbstverliebte Automobilverehrer, Automobilgläubige, ja, Automobilfanatiker, denn hier lagern stehend verdammt viele Automobile aus aller Herren Länder, Lücken im komplizierten Abstellsystem an der Bordsteinkante gibt es nicht. Doch, dort hinten tut sich eine Lücke auf, dort ganz hinten gibt es eine Chance, gefühlte vierzig Kilometer vom Verabredungsort, den man um acht erreichen sollte, tut sich ein Spalt in der Blechphalanx auf, mit Vollgas und dosierter Handbremse schlittert man hinein und beglückwünscht sich später, dass das Smartphone neuerdings mit Fußgängernavigation überraschen kann, mit aller Not erreicht man den Zielort, an dem man mit einem wunderbaren Sonnenaufgang und einer Mannschaft, die dem aktuellen FC Schalke 04 alle Ehre machen könnte, belohnt wird. Wieder ein Morgen im Arsch, doch was tut man sich nicht alles an, um den Nachwuchs glücklich zu machen, man ist leidensfähig und meckert auch nicht über die so furchtbar undeutschen Sitten des Halloweenfests. Viele Grüße dein Herr Bufflon
Kap der guten Hoffnung Als wir die Stadt verlassen, murmle ich leise "Oh happy day" in mich hinein, stocke aber an der Stelle, an der Jesus zu waschen beginnt. Was auch immer Jesus jemals gewaschen haben sollte, es ist mir egal. Seelen, alte Socken, Eselskarren, einerlei, ich glaube nicht, ich möchte wissen. Auf der Autobahn. Ein Ort, an dem man aufhört zu denken. Man lauscht dem watteweichen, nichtssagenden Mix aus Gedudel und Geblödel aus der Radiokonserve (Antenne Brandenburg, Antenne Mecklenburg-Vorpommern, Antenne Niedersachsen, überall Antennen), dem Rattern der Räder, wenn sie über Teerspalten im Beton rasen (langsam verschwindend, denn man experimentiert mit ultramodernem hyperporigen Megaasphalt) und hält sich selten an die Straßenverkehrsordnung. Irgendwer hat mich schon früh darauf programmiert, mindesten zwanzig, besser dreißig km/h schneller als erlaubt zu fahren. Deshalb glaube ich auch, regelmäßige Geschwindigkeitsübertretungen gehören zur deutschen Leitkultur, an die sich alle (ALLE!) gefälligst zu halten haben. Leider reisen wir trotzdem noch zu langsam und werden von noch mürrischeren Zeitgenossen als mir freundlich von Spur zu Spur geschubst. Scheiß doch auf "Kinder an Bord", freie Fahrt für freie Bürger. Irgendwann kommen wir trotzdem an, sind zumindest äußerlich gesund. Auf der Fahrt haben wir das Wort "Arschwasser" kennen und lieben gelernt, es ist so wunderbar, wohlerzogene Kinder zu haben, ja, wir sind die bessere Gesellschaft. Leider darf der P. nicht dazu gehören, denn der ist ganz unten. Jeden Tag bekommt er aus Gründen der Erziehungsvereinfachung zu jeder Mahlzeit ein Hartz-Menü vorgesetzt und erklärt später, Pommes frites und Kartoffelchips würden nichts mit Kartoffeln zu tun haben, die esse nämlich gar nicht. Interessant in diesem Zusammenhang sein derzeitiger Berufswunsch: Bauer. Wenn es nicht so traurig wäre, man könnte über dieses arme Wesen wenigstens lächeln. Aber wie gesagt, wir sind die bessere Gesellschaft, also lassen wir das. Es gibt nichts schöneres als eine warme Decke auf dem Schoß des sitzenden und ruhenden Leibes. Derart eingepackt und auf die Maisernte starrend sitzen wir so vor uns hin und verschwenden Zeit, an diesem Nachmittag in Norddeutschland, der T. und ich. Hühner gackern, Bier fließt aus kleinen Flaschen in den Rachen, denn hier in Norddeutschland trinkt man nur aus solchen, das wurde mir jedenfalls so gesagt. Der T. berichtet aus seinem Leben als fahrender Manufakteur und von anderen traurigen Sachen, die so passieren, in dieser melancholischen Einöde, zwischen Viehweiden und Maisfeldern, Bauernhöfen und Windrädern. Das Meer haben wir schon wieder nicht gesehen, nur die Elbe. Und die Weser. Kommt man hier an, will man bleiben, fährt man dann wieder, ist das auch ganz okay. Der Großstadtindianer kann mit der Dorfgemeinschaft und ihren geheimen Ritualen (Schützenverein) nichts anfangen, die Weite des Landes und des Himmels erschrecken ihn, auch die ungewohnte Dunkelheit macht ihm Angst, jeden Abend überzieht sie das Land und wird nicht vom Schein tausender Laternen, Häuser, Autos vertrieben, steht dunkel und erschreckend vor Tür und Fenster. So bewegen wir uns also wieder über Autobahnen in Richtung Hauptstadt, Heimat, ignorieren schon wieder sträflich das schöne Hamburg, von dem ich glaube, dass ich es angenehm, heimatlich usw. finden könnte, würde ich es nicht immer ignorieren und links liegen lasse, na ja, rennt ja nicht weg, aber wer weiß, was noch alles passiert?
20.10.2010 Das hier ist nur ein inhaltsleerer Datumsfesthalteeintrag. Ich habe es nämlich mit besonderen Daten, auch wenn ich mir die wenigsten merken kann. Dieses hier ist mir aufgefallen, als ich mich endlich wieder traute, etwas in mein geheimes Tagebuch einzutragen, ein durch ein Passwort geschütztes Dokument namens Endlosschleife. Als wäre das Leben eine endlose Wiederholung des immer Gleichen. So ein Quark. Obwohl, na ja. Aber das Datum merke ich mir jetzt. Glaube ich.
Sonntag, letztens, aufgeschrieben Kunstvoll will man klingen und klingt am Ende wie eine Mischung aus Charlotte Roche, Friedrich Nietzsche und Theodor Fontane. Sagt zumindest die FAZ und die muss es wissen. Dabei sollte man gar nicht klingen, sondern das Leben genießen, sonntags beispielsweise. Um sieben aufstehen, kaum das der Morgen graut, und denken: Ach, mir graut es schon vor morgen. Also das Heute genießen. Die Blätter der Büsche hinterm Haus werden gelb, der Baum gegenüber wird rot, vor Scham, weil er so nackt herum oder auch nur, weil der Herbst vor der Tür steht ("Der Herbst, der Herbst, der Herbst ist da ..."). Dabei riecht es doch gerade so schön nach Frühling. Aber die Gänse ziehen, schnattern dabei, als wäre der Vogelzug die einfachste Sache der Welt, nur ein bisschen durch die Gegend fliegen, düsen, jetten, meilenweit, ohne Rast und ohne Pause. Alles ganz easy. Na gut, ein wenig riecht es doch schon nach Schnee. (Auf der Festplatte ein Foto, das einen Waldbrand irgendwo an der Mittelmeerküste zeigen könnte.) Immer wieder, alle paar Wochen, kriecht man durch die Natur (den Garten), der man ein wenig Form und Kultur abgerungen hat (meint man), ein paar künstlich gezüchtete und gepflanzte Pflanzen, umgeben von ein paar Steinen und Steinchen, und die Natur hat nichts Besseres zu tun, als den ihr mühsam abgenommenen Raum wieder zurück zu erobern, sich wieder zurück zu holen, was Menschenhand ihr nahm. Am liebsten sind mir dabei die Brennnesseln, sehr verwurzelt, widerstandsfähig, zäh und man kann sie wieder mit drei N schreiben und sie sind so gesund, behauptet jedenfalls das allwissende Internetz, aber auch meine Oma schon. Wichtig ist: Handschuhe tragen, sonst weint man einen ganzen Sonntag lang. (Viel zu wenig gelesen, viel zu selten Selbstgespräche.) Es wird sowieso viel zu viel geweint. Der Mann kann damit auch gar nicht umgehen, wenn Menschen anfangen in Telefone zu schluchzen (vorzugsweise Frauen), wenn Stimmen anfangen zu zittern, Worte verschluckt werden, ja, wo soll er dann hin, der hilflose Mann, einfach auflegen? Ähm, nein, das verbietet die Höflichkeit, der Anstand, er hört also zu. Um dieses dann aber zu verarbeiten, die Traurigkeit der Dinge, die man weder ändern, noch ins rechte Licht rücken kann, hat man (in der christlich-jüdischen Gemeinschaft, sagt man doch heute so) den Sonntag erfunden, der den vom Alltag Traumatisierten Zeit geben soll, sich zu sammeln, irgendwas zu finden (Gott, Garten, Frühschoppen), sich mit Dingen zu beschäftigen (Stuttgart, Hartz, Bundesliga) und so weiter. Auszeit. Oder doch nicht. (Wohl dem, der ein gemütliches Sitzmöbel hat.)
1687 Der rasierte Mann. Arbeitstitel eines Romanfragments. Ein Wiedergänger stolpert durch die post-postmoderne Welt und versteht nicht, dass es Frauen gibt, die von Nasen- bis Zehenspitze komplett enthaarte Männer irgendwie anziehend finden. # Politik, ist die Rache der Sith. # Die digitale Welt. Je länger man in ihr lebt, umso deutlicher muss einem werden, wie komplex, unübersichtlich, intransparent und sicher auch gefährlich diese Welt ist. Beispiel: Mein Telefon weiß auch ohne aktiviertes GPS immer genau, wo ich bin. Natürlich nicht auf den Meter genau, aber immerhin so genau, dass ich sowohl real als auch auf dem Bildschirm des Telefons die nächste zu überquerende Seitenstraße sehen kann (augmented reality?). Realität und virtuelle Welt überlagern sich also, ohne mein Zutun. Und wenn das Telefon schon weiß, wo genau ich bin, dann können das doch auch andere wissen? Und so wird man paranoid. Überhaupt: Das Leben verlagert sich immer weiter in diese digitale, virtuelle Welt. Kontoauszüge, Rechnungen, wichtige und weniger wichtige Informationen, alles mögliche wird nur noch digital ausgetauscht (Kostengründe! - als würde nunmehr alles billiger), in virtuellen Postfächern gesammelt, in unbeschreibbaren Wolken gespeichert und verarbeitet, nichts ist mehr physisch greifbar, man kann es nicht mehr aus dem Schrank holen und in die Hand nehmen, erfahrbar machen, nachschlagen, alles findet nur noch zwischen Bildschirm und Tastatur und Telefonleitungen statt. Und was bleibt vom Menschen, wenn alles in diese Welt transferiert ist? (Natürlich mag ich diese Welt, ihre Unbegrenztheit, die Fülle an Möglichkeiten, die einzigartig sind, wenn man mit ihnen umgehen kann. Trotzdem bleibt immer ein mulmiges Gefühl, wenn man sie hier und da betritt und sich fragt, welche Spuren man hinterlässt und welche Schlüsse andere daraus ziehen. Siehe auch und auch.) # Das Kind, dass sich auf Lomographie spezialisierte. Sehen, wie er die Welt wohl sieht. (Ganz schön quer.) # Wenn man morgens um sechs die Oranienburger entlang läuft, scheint es so, als wäre hier nie etwas gewesen. Keine Sauftouren, kein Straßenstrich, keine belebten Bars und Clubs, keine Touristengruppen auf der Suche nach dem touristischen Zentrum Berlins, das irgendwo am Hackeschen Markt vermutet wird, nichts deutet auf buntes, wildes Treiben hin, übrig geblieben sind nur ein paar Autos mit Menschen auf dem Weg ins Büro, ein paar Polizisten vor der Synagoge, ein paar einsame Gestalten, die still den Gehweg entlangmarschieren, ein paar Vögel, die sich vom Monbijou-Park in Richtung Sonnenaufgang aufmachen, um ihr Tagesgeschäft zu erledigen. Dieses Berlin, wie es einem gefallen kann, der die Einsamkeit liebt und auch - aus unerfindlichen Gründen - diese Stadt. # Na ja, doch ganz schön plemplem, so innerlich.
Kultur ist auch nur ein Wort Viele Jahre versuchten sie mit den Standortfaktoren Clubkultur, Komasaufen und Kreativgedöns Berlin als Party-Metropole zu positionieren, als Abschlepp- und Abhott-Location für die Jugend der Welt. Zu guter Letzt pries Bonmot-Bürgermeister Wowereit höchstselbst seine Stadt mit dem Slogan "arm, aber sexy" einer geizigen, geifernden Besucherschar an. Ein Motto wie für einen Flatrate-Puff. Die Wahrheit - Die Rache der Spanier
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Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57 Links: ... Home ... Blogrolle (in progress) ... Themen ... Impressum ... Sammlerstücke ... Metametameta ... Blogger.de ... Spenden Archiviertes:
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