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Kap der guten Hoffnung

Als wir die Stadt verlassen, murmle ich leise "Oh happy day" in mich hinein, stocke aber an der Stelle, an der Jesus zu waschen beginnt. Was auch immer Jesus jemals gewaschen haben sollte, es ist mir egal. Seelen, alte Socken, Eselskarren, einerlei, ich glaube nicht, ich möchte wissen.

Auf der Autobahn. Ein Ort, an dem man aufhört zu denken. Man lauscht dem watteweichen, nichtssagenden Mix aus Gedudel und Geblödel aus der Radiokonserve (Antenne Brandenburg, Antenne Mecklenburg-Vorpommern, Antenne Niedersachsen, überall Antennen), dem Rattern der Räder, wenn sie über Teerspalten im Beton rasen (langsam verschwindend, denn man experimentiert mit ultramodernem hyperporigen Megaasphalt) und hält sich selten an die Straßenverkehrsordnung. Irgendwer hat mich schon früh darauf programmiert, mindesten zwanzig, besser dreißig km/h schneller als erlaubt zu fahren. Deshalb glaube ich auch, regelmäßige Geschwindigkeitsübertretungen gehören zur deutschen Leitkultur, an die sich alle (ALLE!) gefälligst zu halten haben. Leider reisen wir trotzdem noch zu langsam und werden von noch mürrischeren Zeitgenossen als mir freundlich von Spur zu Spur geschubst. Scheiß doch auf "Kinder an Bord", freie Fahrt für freie Bürger.

Irgendwann kommen wir trotzdem an, sind zumindest äußerlich gesund. Auf der Fahrt haben wir das Wort "Arschwasser" kennen und lieben gelernt, es ist so wunderbar, wohlerzogene Kinder zu haben, ja, wir sind die bessere Gesellschaft. Leider darf der P. nicht dazu gehören, denn der ist ganz unten. Jeden Tag bekommt er aus Gründen der Erziehungsvereinfachung zu jeder Mahlzeit ein Hartz-Menü vorgesetzt und erklärt später, Pommes frites und Kartoffelchips würden nichts mit Kartoffeln zu tun haben, die esse nämlich gar nicht. Interessant in diesem Zusammenhang sein derzeitiger Berufswunsch: Bauer. Wenn es nicht so traurig wäre, man könnte über dieses arme Wesen wenigstens lächeln. Aber wie gesagt, wir sind die bessere Gesellschaft, also lassen wir das.

Es gibt nichts schöneres als eine warme Decke auf dem Schoß des sitzenden und ruhenden Leibes. Derart eingepackt und auf die Maisernte starrend sitzen wir so vor uns hin und verschwenden Zeit, an diesem Nachmittag in Norddeutschland, der T. und ich. Hühner gackern, Bier fließt aus kleinen Flaschen in den Rachen, denn hier in Norddeutschland trinkt man nur aus solchen, das wurde mir jedenfalls so gesagt. Der T. berichtet aus seinem Leben als fahrender Manufakteur und von anderen traurigen Sachen, die so passieren, in dieser melancholischen Einöde, zwischen Viehweiden und Maisfeldern, Bauernhöfen und Windrädern. Das Meer haben wir schon wieder nicht gesehen, nur die Elbe. Und die Weser.

Kommt man hier an, will man bleiben, fährt man dann wieder, ist das auch ganz okay. Der Großstadtindianer kann mit der Dorfgemeinschaft und ihren geheimen Ritualen (Schützenverein) nichts anfangen, die Weite des Landes und des Himmels erschrecken ihn, auch die ungewohnte Dunkelheit macht ihm Angst, jeden Abend überzieht sie das Land und wird nicht vom Schein tausender Laternen, Häuser, Autos vertrieben, steht dunkel und erschreckend vor Tür und Fenster. So bewegen wir uns also wieder über Autobahnen in Richtung Hauptstadt, Heimat, ignorieren schon wieder sträflich das schöne Hamburg, von dem ich glaube, dass ich es angenehm, heimatlich usw. finden könnte, würde ich es nicht immer ignorieren und links liegen lasse, na ja, rennt ja nicht weg, aber wer weiß, was noch alles passiert?
 
Fr, 22.10.2010 |  # | (724) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging



 
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