Schön-Wetter-Depression Du wirkst in letzter Zeit wieder etwas zu depressiv. - Sagte sie und schaute mich dabei mit ihrem durchdringenden, bohrenden Blick an, diese blauen Augen, wunderbar, aber der Blick, eine Mischung aus investigativem Journalismus (Akte 07), menschlichem Interesse und ernst gemeintem Mitleid, ein Blick, der kein Widerspruch duldete, der sagte: Komm, gibs zu, ich seh es dir doch an. Natürlich verneinte ich sofort, ich, dieser abgrundtief fröhliche Mensch, die Lach- und Schießgesellschaft in Person, ich, der immer wieder mit subtilem Humor überraschen und den ganzen Tag lachen konnte, also ich, ich sollte nun depressiv sein? Nein, natürlich musste ich sofort dagegen halten. Innerlich gab ich ihr natürlich recht, so wie Männer eben Frauen fast immer innerlich recht geben, wenn diese mit ihren intuitiven Vermutungen richtig liegen, aber äußerlich stritt ich alles ab. Mann muss schließlich auf seinem Standpunkt bestehen, so eine Ehe ist schließlich keine non-stop Bussi-Bussi- und Schatzi-Schatzi-Veranstaltung, nicht wahr. Als sie mich aber dann sanft vor den großen, ehrlichen Spiegel bugsierte und mich auf meine deutlich sichtbar nach unten hängenden Mundwinkel aufmerksam machte, die, wie sie so schön feststellte feststellte, schon seit Tagen in dieser unsäglichen Merkelposition verharrten, gab ich nach und gelobte Besserung. Schließlich las ich doch mal bei Frau Schlüsselkind, dass sich in den Mundwinkeln eines Menschen angeblich dessen Charakter eingräbt und als wirklich abgrundtief fröhlicher Mensch kann ich doch nicht mit einer in meinem Gesicht eingegrabenen Depression herumlaufen, das passt doch nicht zusammen. Also heißt es ab heute: Grimassenschneiden vor dem Spiegel, Lachen, was das Zeug hält, auch wenn es gar nichts zu Lachen gibt, damit die Mundwinkel endlich wieder nach oben zeigen und das Gehirn wieder diese komischen, lustigen Botenstoffe ausschüttet - mir kam schon in den Sinn, nur noch auf den Händen zu laufen, dann kann ich mir diese etwas komisch anmutenden Übungen vor dem Spiegel ersparen und meine Mundbegrenzungen zeigen trotzdem nach oben; nun gut, vielleicht ein wenig unpraktisch im Alltag. Ich las nämlich einmal, dass man sein Gehirn und seine Hormone mit diesem gekünstelten Gegrinse und Gelache, mehr so ein gezwungenes Kichern, austricksen und so ein furchtbar glücklicher Mensch werden könne. Ich werde nun also täglich meine Mundwinkelübungen machen, egal wie stark es im Kopf brennt, eine Schönheitsoperation bei Prof. Dr. Mang, ja, der von der society-bekannten Bodenseeklinik, kommt mir gar nicht in die Tüte, was das wieder kostet (na gut, man berichtet, dass der Herr Prof. Dr. einen Pilotenschein macht, der muss ja irgendwie bezahlt werden) und schließlich ist das ja noch verlogener, als diese allmorgendlichen künstlichen Lach- und Grinsübungen vor dem Spiegel. Wenn ich dann vor diesem stehen, denke ich natürlich auch über die Ursachen meiner etwas verdunkelten Art nach: Politik, Internet, Frau, Kinder, Kollegen, Klimakatastrophe, nee, das alles kann mich doch gar nicht mehr erschüttern, es muss etwas anderes sein, vielleicht, ja, könnte sein, "Heureka!" - ich glaub, jetzt hab ich es: Es ist das Wetter. Natürlich. Die Sonne lacht so furchtbar laut, die Temperaturen steigen, Wärme, Wind und gar kein Regen, das alles ist von innen betrachtet wunderbar, nur nach draußen darf ich nicht gehen. Dann tränen die Augen, brennen, jucken, hinzu kommt dieses ständige Kratzen im Hals, die belegte Stimme, laufende Nase, von diversen Hautirritationen will ich gar nicht reden, gehe ich raus, geht es mir schlecht, kein Wunder, dass die Mundwinkel in Richtung Merkel zeigen, dieses gute Wetter verdirbt mir die ganze Laune, ich will, dass es wieder regnet, dass die Pollen ausgewaschen werden und verschwinden, nein, es soll nicht regnen, ich will Fussball spielen mit den Jungs, am See liegen ohne Schnoddernase, ach, das ist doch nicht zum Aushalten mit diesem Wetter, es ist viel zu schön um schön zu sein. (Vielleicht sollte ich auch einfach nur die richtigen Tabletten nehmen.)
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