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Bad hair day

Scheint heute etwa die Sonne? Dies war der erste fühlbare Gedanke, der ihm durch den innerlich leicht angeschlagenen und pochend schmerzenden Kopf schlich. Schnell dürfte heute wohl gar nichts gehen. Warmes Licht schimmerte durch die heruntergelassenen Jalousien, an den gestrigen Abend konnte er sich nur noch wage erinnern, nach Toms blödem Spruch: "Ich sauf dich unter den Tisch!", war irgendwie Schluss und nun fragte er sich, wie er sich hatte überreden lassen können, mit den Kollegen noch auf einen Absacker in diese dunkle Kaschemme zu gehen. Scheiß Job, scheiß Kollegen, wenn das heute nicht mal ein richtig beschissener Tag wird.

Als er am Spiegel vorbei ging, erkannte er sich kaum wieder, die Haare standen zu Berge, in alle Richtungen, du siehst aus wie dieser Pumuckl, dachte er, die Haare müssten nur noch knallrot angemalt sein, die Nase ist es schon. Jetzt erstmal einen Kaffee, dann ein paar Aspirin und irgendwann noch zum Friseur, dass musste für heute reichen, mehr würde nicht gehen. Am Ende lag Tom unter dem Tisch, alle lachten, hahahaha, genau, das wars, langsam kam sein Gehirn wieder auf Touren. Tom ist ein Winner, wenn er nicht gerade trinkt, die besten Frauen, die besten Kunden, Geld hat man, sein Wahlspruch, den er sich am liebsten auf seine Visitenkarte gedruckt hätte, letztens sah er Tom, wie er mit der Brünetten vom Klo kam, beide mit roten Wangen, ungeordneten Haaren, sein Hemd zerknittert, die Krawatte schief. Der Spinner, dachte er, soll es mal nicht zu weit treiben und schon gar nicht mit der Brünetten auf dem Klo. Egal, seine Sache.

Das Wasser in der Dusche war entweder zu heiß oder zu kalt, mal brühte man sich fast das Fleisch von den Knochen, mal kamen klitzekleine Eisstückchen aus der Leitung, Wechselduschen sind gut für den Kreislauf, hatte er einmal irgendwo gelesen, wahrscheinlich bei einem der äußerst seltenen Arztbesuche (Gehen sie regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung? Das könnte dir gefallen, mir als Privaten mal ordentlich den Finger in den Hintern stecken, um ebenso ordentlich dran zu verdienen? Du Penner, sei froh, dass ich überhaupt hier bin und du deine beschissene Privatrechnung ausstellen kannst, wäre ich Kassenpatient, hätte ich wohl noch ein paar Stunden draußen sitzen und deine Sprechstundenhilfe belabern dürfen.), aber diesen unangenehmen Wechsel von heiß und kalt konnte er jetzt gerade gut gebrauchen. In der Küche glurkste die Kaffemaschine leise vor sich hin, warmer Kaffeduft machte sich in der immer noch abgedunkelten Wohnung breit, er goss sich ein großes Glas Wasser ein und schluckte drei Aspirin. Das musste reichen, für den Anfang. Nach vier vergeblichen Versuchen, den Friseur um die Ecke anzurufen, kam er endlich durch, "Das Haartelier", mein Göttchen, wie hochtrabend, er bekam einen Termin so gegen vier, schaute auf die Uhr und freute sich, bis dahin noch einmal in die Kiste steigen zu können. Mal wieder allein.

Kurz vor vier wurde er wach, hastig schmiss er sich in seine Klamotten und hetzte in Richtung Haaratelier. Von denen kann man wohl Kunst am Haar erwarten, dachte er sich, vielleicht konnten die sogar etwas mit dem riesigen Krähennest auf seinem Kopf anfangen, würde es über seinem Kopf regnen, könnte man schon fast von Regenwald sprechen. Das wäre eine tolle Geräuschkulisse. Am Empfang stand eine kleine, abgemagerte Frau im weißen Kittel, erst dachte er, hier wäre er wohl falsch, vielleicht aus Versehen beim Doc gelandet. Auf einem Schild über der Brusttasche stand "Christine, Azubi" und er fragte:

"Hier bin ich aber schon richtig, im Haaratelier?"
"Natürlich, schauen Sie sich doch um."

Rhetorische Fragen waren also schon mal nicht Christines Stärke, ein bisschen mehr essen sollte sie vielleicht auch mal. Wer hat eigentlich diese Mär von der sexiness spindeldürrer Miss Twiggies in die Welt gesetzt? Wahrscheinlich solch mumienartige Wesen wie dieser stotternde Lagerfeld, der ist ja nun wirklich kein Schöheitsideal. Verkommene Welt. Er mochte lieber etwas zum anfassen, ein paar Rundungen an den richtigen Stellen, wenn er doch überhaupt nur jemanden hätte. Miss Twiggy sagte, dass Anja gleich Zeit für ihn hätte und irgendwie hörte sich das mehr nach Puff als nach Friseur an, ihm war es recht. Er setzte sich kurz auf die weiße Kunstledercouch in der Ecke, nahm sich eine Zeitung vom Stapel und blätterte lustlos darin herum. Überall diese dürren Skelette, nichts zum Anfassen, dass die nicht umfallen wie die Fliegen, grenzt an ein Wunder. Der menschliche Körper hält wahrscheinlich eine ganze Menge aus. Angeekelt legte er die Zeitung zurück auf den Stapel und lehnte sich entspannt zurück. Gerade beglückwünschte er sich für den endlich verflogenen Kopfschmerz und dachte schon daran, zu Hause noch einen gepflegten Drink zu nehmen, als eine gut aussehende Blondine, Mitte Zwanzig, wie er schätzte, auf ihn zukam.

"Hallo, ich bin Anja. Wie hätten Sie es denn gern?"

Spontan fiel ihm einiges ein, allerdings hatte das wenig mit Haareschneiden zu tun, er versuchte es zuerst einmal mit einem verwegenen Lächeln, hatte er sich heute eigentlich schon die Zähne geputzt? Waschen, schneiden, föhnen, cut'n'go gab es hier noch nicht, das hier war solider Randbezirk, keine wabernde Mitte. Anja, einen Kopf kleiner als er, war keine Miss Twiggy, sie war genau richtig, wie er fand, halblange, blonde Haare, eine weiße, leicht durchsichtige und gut gefüllte Bluse und ein kurzer Rock, der den Hintern in eine absolut hinreißende Form brachte. Das konnte ja noch was werden. Er hasste es, beim Friseur ständig in seine eigene Visage schauen zu müssen, deshalb beobachtete er lieber seine Umgebung, heute natürlich Anja, sie fragte gar nicht mehr lange nach seinen Wünschen, sondern schnippelte munter drauflos. Er ließ sie machen, beobachtete sie und träumte dabei. Wenn sie im nahe kam, unvermeidlich beim Haareschneiden, sog er ihren Duft in die Nase ein, beugte sie sich nach vorn, versuchte, ihr in den Ausschnitt zu schauen, bückte sie sich, um aus unten gelegenen Schubladen verschiedene Utensilien heraus zu holen, schaute er ihr unvermittelt auf den Hintern. Ob die einen Freund hat? Keine Ringe an den Fingern, immer ein sanftes Lächeln auf den Lippen, ob sie bemerkt hatte, wie er sie anstarrte? In seinen Träumen lag sie in seinem Bett, rekelte sich, sie küssten sich wild, küssen ist besser als Sex, sie lächelte ihn an, die ganze Zeit, auch wenn sie es miteinander trieben, er musste aufpassen, dass seine Träume nicht außer Kontrolle gerieten, bloß nicht jetzt, bloß nicht hier. Verstohlen setzte er seine Beobachtungen fort, Anja arbeitete unbeirrt weiter, ob sie irgendetwas bemerkt hatte? Ob er sie ansprechen sollte? Seine Haare sahen toll aus, wie er fand, sie wäre fast fertig, sagte sie, nur noch den Nacken ausrasieren. Bedächtig nahm sie das Rasiermesser in die Hand, wog es kurz in der Hand, klappte es auf und überprüfte die Schärfe der Klinge, stellte sich hinter ihn, beugte sich genüsslich mit ihrem Kopf neben seinen, lächelte ihn an, hielt das blitzende Rasiermesser unter seine Nase und flüsterte ihm ganz leise ins Ohr:

"Wenn dir deine Eier noch etwas wert sind, dann hör auf, mich so geil anzuglotzen."

Was für ein beschissener Tag.
 
Sa, 25.11.2006 |  # | (748) | 12 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schreib mal wieder



 
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