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Sommer in Berlin

Klappe die Zweite. Heute: Die Gartenlesung

Ein Kulturereignis der besonderen Art präsentierte an diesem Wochenende der kürzlich gegründete Verein "Kunst im Schrebergarten", irgendwo in Berlin. Veranstaltungsort war eine alte Hütte, besser gesagt, die Terasse, manche sagen auch Veranda, davor, allein schon wegen des besseren Platzangebots. Dem Verein geht es um die allgemeine kulturelle Bildung der Gartenfreunde aus der Umgebung, schließlich gibt es im Leben mehr, als nur Unkraut zupfen, Hecken schneiden und Rasen mähen (obwohl gerade das auch gern als "unheimlich reinigendes, spirituelles und fast als transzendentales Erlebnis"* empfunden wird). Die Lesung im Garten war der Auftakt für eine Reihe ähnlicher Kulturveranstaltungen, rund um den Schrebergarten. Lockmittel waren ein gut gefüllter Grill und ebenso gut gekühltes Bier, ein gehörntes Rindvieh hatte sich als Witzfigur, nein, kurzer Versprecher, Kunstfigur zur Verfügung gestellt und versprach lauthals, einen wertvollen Text über "Die Romantik des Rasens" vorzutragen, Kleingärtnerei von ihrer kunstvollen Seite.




Die Nachfrage hielt sich leider in Grenzen. Dies lag vor allen Dingen an den angenehmen Temperaturen, es war nicht zu heiß und nicht zu kühl, die den einen oder anderen Gartenfreund zu einem ausgedehnten Schläfchen auf der Hollywood-Schaukel animierte, da kann man auf Kunst, oder so, auch gerne mal verzichten. Am Ende waren es drei Gartenfreunde, die den Text "Die Romantik des Rasens" über sich ergehen lassen mussten, nein, wollten: Gartenfreund Nr. 1, ein Drei-Käse-Hoch, blond gelockt, Fußballfanatiker, Gartenfreund Nr. 2, zwei Köpfe größer, mit Schwert bewaffnet, Pirat und Phantast und Gartenfreundin Nr. 1, wirkte ein wenig müde, die Nacht war kurz.

Das Rindviech saß seinen Zuhörern bereits gegenüber, ein kühles Bier neben den fein säuberlich ausgedruckten Seiten, Schriftgröße 12, anderthalbzeilig. Im Aschenbecher qualmte eine angerauchte Zigarette vor sich hin, im Hintergrund der Grill. In den Haaren steckte die furchtbar intellektuell wirkende Brille der Gartenfreundin Nr. 1, Aussehen ist alles, die Gartenfreunde sollten im Vorfeld unbedingt beeindruckt werden. Am Ende interessierte es keinen. Klar. Er runzelte ein wenig die Stirn, sollten das etwa schon alle Zuhörer sein? Will denn hier niemand etwas vorgelesen bekommen, es ist doch so ein wunderbares Stück, "Die Romantik des Rasens"?.

Er fing an, die Gartenfreunde Nr.1 und 2 wurden schon unruhig, ordnete die Blätter noch einmal, und begann mit ruhiger Stimme vorzulesen:

"Die Romantik des Rasens - ein Text von mir, dem Büffel aus Berlin, Gartenfreund aus Leidenschaft, deshalb musste das auch einfach mal sein. Rasen ist für uns Gartenfreunde der Mittelpunkt des Lebens. Das leuchtende Grün erfrischt unsere Seele, die frisch geschnittenen Halme beleben unsere vom heißen Sommer angeschwollenen Füße, das Surren des Rasensprengers am Morgen oder am Abend verleiht uns innere Ruhe, die kurze Fahrt mit dem Rasenmäher über das ständig wachsende Gras weckt unsere Kreativität, unsere Kinder spielen Spiele der Fußballweltmeisterschaft nach, werden selber Stars, auf unserem Rasen."

Das Wort "Fußball" hielt Gartenfreund Nr. 1 nicht länger auf seinem Sitz, er war sowieso noch nie als Stillsitzer bekannt, er rief laut "Fußball. Fußball", schnappte sich den nächsten herumliegenden und drosch ihn ins Tor. Tor! Na toll, die erste Unterbrechung, wenn man mal aus dem Fluß ist, kommt man auch kaum wieder rein. Der vortragende Hobbykünstler und Gartenfreund zog noch einmal genüßlich an der fast heruntergebrannten Zigarette und setzte zum nächsten Versuch an. Denkste. Gartenfreund Nr. 2 war ein wenig gelangweilt, er wollte Piraten und Monster und untergehende Schiffe, brennende Burgen, angreifende Drachen und glänzende Ritter, all das ganze Zeug. Nein, all das hatte unser Hobbykünstler, das gehörnte Rindviech, nicht im Sinn, nicht hier. Gartenfreund Nr. 2 war enttäuscht, verschwand schwertschwingend und rief noch hinterher: "Da bring ich mir lieber selber das Fahrrad fahren bei." Bitte.

Blieb nur noch Gartenfreundin Nr. 1, sie war ein wenig eingenickt, zum Leidwesen des Anfängers in Sachen Vorleserei. So hatte er sich das insgesamt gar nicht vorgestellt.

"Und nun?"
"Wie? Und nun?"
"Will ja keiner was hören, von der Romantik des Rasens."
"Ich auch nicht, kenn ich ja schon alles. Kommt bestimmt auch die Stelle mit diesem tollen Rasenstück, dass so wunderbar kurz geschnitten ist, ganz weich aussieht, mit lauter Blümchen drauf. Da haste doch mal gesagt, dass du da gern mit mir mal ne Nacht verbringen würdest. Das fand ich zwar lustig, kenn ich aber eben schon."
"Soll ich dir noch nen Heiratsantrag machen?"
"Wieso noch einen? Hab ich was verpasst?"
"Immer aufs Schlimme. Fang ich eben noch mal an, mit der Romatik des Rasens. Also..."
"Ja, mach mal. Ich penn ne Runde."

Sprachs und nickte ein. Er zündete sich die nächste Zigarette an, nahm ein Schluck vom Bier, schaute nach den anderen Gartenfreunden, wie sie den Rasen malträtierten, den schönen, und dachte an die Stelle mit dem tollen Rasenstück. Und er hatte eine wunderbare Idee, dort, im Sonnenschein sitzend und sich nun Anekdötchen ausdenkend.
 
Mo, 19.06.2006 |  # | (608) | 12 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Berlin



 
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