Sonntagslethargie Um sechs machten wir die Augen auf, sahen in die Ferne und konnten nichts als strömende Bäche aus dunklen, grauen Wolken erkennen. Wir legten uns wieder ins Bett, um bereitwillig in einen ebenso grauen Schlaf zu fallen, alle. Später. Auch der Gang zum Bäcker brachte nichts neues, außer vielleicht ein paar Brötchen, aber die waren im Prinzip auch nicht neu, nur frisch gebacken. Seit Monaten jeden Tag die gleichen Wege. Man hat keine große Auswahl, wenn man vom immer vom gleichen Start mit dem immer gleichen Ziel ins Rennen geht. Mal versucht man es über B, dann über C, später über D, allerdings kann man morgens keine Tagestouren daraus machen, es sind nur Brötchen zu holen, die hungrige Meute wartet zu Hause und der Regen strömt immer noch in Massen. Lethargie. Ein bisschen im Kinderzimmer wüten, interessant, dass schon die kleinsten an grausamen Schlachten interessiert sind. Haufenweise liegen Ritter im Hof der Burg, es heißt, die hielten Ritterspiele ab und "möge der Beste von euch gewinnen". Irgendwann las ich mal, dass dieses Schauspiel normal ist, Konflikte werden so ausgetragen, im Spiel, das Kinderspiel wurde ausführlich analysiert, man soll sich nicht belehrend einmischen, sondern mitmachen, Wege aufzeigen, so geht das also, mit dem lernen. Wieder was gelernt. Müssen wir uns denn überall einmischen? Draußen regnet es in Strömen. Stille. Die Kinder erholen sich von den grausamen Schlachten und hören dabei Winnie Pooh, sozusagen ein kuschelnder Ausgleich. Die Liebste erholt sich im Entspannungsbad, epiliert und duscht und liest den neuesten Quark, ich liege auf der Couch und bekomme nicht einmal das Notebook aufgeklappt, außerdem verweigert es sich, mal wieder. Etwas Neues muss her, nicht der trendigste Quark, allerdings auch nicht der billigste Scheiß. Jahre soll das alles halten, ich frage mich, ob die Eltern immer noch diese ultraschwere Schreibmaschine im Keller haben, die mich immer so nett angelächelt hat, auf der ich stundenlang lustlos herumgetippt habe, weil mich allein die Tasten so fasziniert haben, nicht die Tatsache, dass es so einfach ist, Gedanken aufzuschreiben, einfach drauf los zu tippen, um am Ende festzustellen, dass ein paar Gedanken dabei heraus gekommen sind, die weiter gedacht werden könnten. Damals fehlte es mir an Tiefe, würde ich heute sagen, an diesem lethargischen Sonntag gibt es zuviel davon. Marathon im Fernsehen. Ich sollte Marathon laufen, allerdings würde ich nach fünf Kilometern anfangen zu denken, so richtig tief, um die Schmerzen im rechten Bein, in der Schulter, am unteren Rücken und in der hintersten Ecke der Lunge zu vergessen, würde mich dabei verhaspeln und einen viel zu langen Gedankenstrang produzieren, so wie jetzt gerade. Draußen regnet es in Strömen. Am Abend hört es auf zu regnen, ein paar Schritte, ein paar Sprünge in tiefe Pfützen, wieder ist ein Tag vergangen, man lebt doch nicht nur, um Tage zu verbringen? Umzubringen? Kann man Tage umbringen? Ist man ein Mörder, wenn man einen Sonntag lang fast gar nichts tut, man sich selbst fesselt und die Zeit vertrödelt? Die Kinder sind müde, sie haben auch schwer geschuftet, leicht zu erkennen am Kinderzimmer, in dem sich nicht nur gefallene Ritter stapeln, sondern auch Piratenschiffe, die sich auf die Suche nach versunkenen Schätzen gemacht haben, ohne Erfolg, bisher. Zwischendurch brannte das eine Schiff, weil Römer es böserweise in Brand gesteckt hatten, mit einem Katapult und Pech und Schwefel, die schlimmen Römer, und dann kam die Feuerwehr mit ihren langen Schläuchen und am Ende feierten alle ein Fest, Ritter, Piraten, Römer, Feuerwehrleute und Politzisten, ja, auch die Cowboys und Indianer durften nicht fehlen. Was für ein Tanz. Draußen ist es dunkel geworden, im orangenen Licht der Straßenlaternen sieht man ersten Nebel aufsteigen, die Gehwege sind wieder trocken, obwohl es den ganzen Tag geregnet hatte, ein letzter Blick zu einem schrumpfenden Mond und dann ein tiefer Schlaf, mit wachen Träumen vom anhaltenden Regen.
Ach, so eine Lethargie muss auch mal sein. Das Wetter ist da ja eh der perfekte Stimmungswandler. Würde man wirklich nach der Maxime "Lebe jeden Tag als sei es der letzte" gehen, stirbt man eh an Überanstrengung. Die viel größere Kunst ist es da schon, die Lethargie des Nichtstuns in ein Geniessen der Faulheit zu verwandeln!
sehr schön eingefangen und somit ein kleiner trost für mich ... mir ist dieser dauerregen gestern so auf den geist gegangen
Tja, heute scheint die Sonne. Da möchte sich wohl jemand einen Scherz mit uns erlauben.
Die Glaskugel sagt, es könnte sein, dass es nicht ganz so wird und wärmer. Trotzdem ist es wahrscheinlich hilfreich, sich einen kleinen Schokolade-Haushalt anzulegen oder eimerweise Gummibärchen bereit zu stellen, wegen der Glückshormone.
>> Kommentieren Stimmungsfänger! >> Kommentieren sehr schön geschrieben. >> Kommentieren cosmomente (16.08.06, 01:49) (link) >> Kommentieren irgendwie liest es sich trotz allem schwer romantisch. Find ich. Aber als altes Herbstkind kann ich auch völlig verrregneten Tagen manchmal sehr viel abgewinnen. Manchmal mag ich sie. Und so wie Sie den Sonntag beschrieben haben ... ach, man muss so eine Lethargie auch mal genießen. Mir sagt zzt. auch jeder, ich solle die jetzige Zeit genießen, so wird es nie wieder sein. Die Herausforderung daran ist nur: wie genießt man eine Zeit? Was tut man oder tut man nix? Ich hab mich für eine Mischung aus endlich-tun-wozu-ich ewig-nicht-kam-und-was-immer-liegen-bleibt und Nichtstun entschieden. Hach, schön beschrieben haben Sie diesen für Sie so unschönen Sonntag. >> Kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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