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Lose Reflektion

So ist der Großstadtdepp: Als Flachlandtiroler das Haus trotz Schneefall in Turnschühchen verlassen, dünne Söckchen bedecken das frierende Eisbein, am Ende leidet man an grausam kalten Füßen, gefährlicher Rotz läuft einem aus der Nase – dabei denkt man auch immer irgendwie an „The Stand. Das letzte Gefecht“ von Stephen King – in den nächsten Tagen dürfte man wohl an schwerstem Nierenversagen dahin siechen, das Ende ist nah. So ist der Großstadtdepp. Niemand rechnete überhaupt noch mit Winter, Schneefall und gefrorene Seen, das wurde doch längst verdrängt, vom Frühling im Dezember 2007 und auch Januar 2008, sowie schon im Jahr davor, so dass man völlig überrascht und überfordert ist und das Haus in Turnschuhen aus billigem Kunststoff verlässt, statt in ordentlichem Schuhwerk aus Leder, hoch geschnürt bis über den Knöchel. Typisch. Mit der andauernden Kälte wächst dann auch die eigene Aggressivität. Schon wieder sitzt so ein Depp auf meinem gut beheizten Stammplatz in der Straßenbahn, schon wieder rennt man durch die Nacht und die Nase gefriert, rote Wangen brennen, Fingerkuppen schwärzen sich, als hätte man den Mount Everest ohne Handschuhe bestiegen, das Gehirn läuft im Stromsparmodus, mach doch mal bitte einer den Frühling an. Dann meckert man eben über die Pollen. Hatschie.

Das Internet ist die große Auftaumaschine, eine Lötlampe für die eingefrorenen Windungen, denn hier gibt es alles, für jeden. Na gut, dabei etwas für sich heraus zu fischen, also Dinge zu finden, die man genau so haben wollte und gar nicht anders, an denen man sich erfreut oder auch mal reibt, erregt, also nicht im pornografischen Sinne – davon gibt es ja auch reichlich – nein, eher im gedanklichen, intellektuellen Sinne, das ist tatsächliche, erfreuliche Arbeit. Ein Interesse daran vorausgesetzt. Manchmal ist es das Wühlen im Schlamm, manchmal das Fischen im Trüben und manchmal schwebt man auf Wolke Sieben, wenn man nämlich entdeckt hat, dass es Stellen gibt, an denen genau die gleichen Dinge gedacht werden, die man selber denkt, oft noch ein wenig erweitert, ausgeschmückt, verbessert, aber auch genau Gegenteiliges, das einem dann auch logisch erscheint oder gerade nicht, weshalb man dann noch einmal seine Position überdenkt und sich selbst neu ausrichtet. Und das alles vom heimischen Sofa aus, also wie früher, als man sein Fernsehprogramm mit der Fernbedienung bestimmte, allerdings nur, um zu konsumieren oder vielleicht seine Meinung im kleinen Kreise kund zu tun, heute kann man allen Internetmenschen mit seiner Meinung auf den Sack gehen, diese können dann also auch öffentlich angepisst oder tatsächlich erfreut sein oder auch ignorieren, das Schicksal des Großteils der privatschreiberischen Meinungen. Egal. Das ist doch die Freiheit. So kann man zum Beispiel die Kommentare auf Welt.de abscheulich finden und dann gar nicht mehr lesen, weil man weiß, dass sich hier ein Pool mit Unverbesserlichen befindet, man kann sich aber auch darüber lustig machen oder oder oder. Freiheit.

Woher kommt dieses Denken? So etwas fragt man sich doch täglich. Wenn zum Beispiel der Nachwuchs den Einsatz von Überwachungskameras für absolut normal hält, ja, sogar davon ausgeht, dass damit kleinere und größere Verbrechen verhindert werden können, dann fragt man sich, woher das kommt. Wo hast du das aufgeschnappt? fragt man oder woher diese Assoziation kommt, diese Schlussfolgerung, dass die ständige bildliche Aufnahme von Orten in Verbindung mit der Auswertung dieser Bilder durch überwachende und entscheidende Instanzen, irgendein Vergehen oder Verbrechen verhindern könnten, was ist das für ein Glauben? Ein Siebenjähriger denkt ja nicht darüber nach, dass dabei auch viel falsch laufen kann, muss. Man sieht einen Typen mit schwarzer Jacke, schwarzer Mütze, einem Schal mit Streifen, der Geld abhebt, von einem Konto und wenig später wird der Automat manipuliert und irgendeiner behauptet, dass könne doch nur der gewesen sein und dann überwacht man eben alle, die irgendwie Ähnlichkeit mit diesem Typen haben, hört Telefone ab, durchsucht Wohnungen, schnüffelt im Müll, das ganze Programm und die Betroffenen können eben nicht mehr frei leben, werden eingeschränkt, obwohl sie zu mindestens 90 Prozent unschuldig sind, damit geht der gesamte Rechtsstaat verloren und da setzt dann also der ganz private Bildungsauftrag ein. So ist das doch letztendlich mit Kindern, wenn man denkt.
 
Mo, 02.02.2009 |  # | (567) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: blogosophie


jean stubenzweig   (02.02.09, 12:05)   (link)  
Wo schnappt ein Siebenjähriger das auf? Auf dem Schulhof? Wo die Meinungen der Eltern Verbreitung finden? Ich weiß gar nichts, habe gerade keinen in dem Alter, auch nicht annähernd.

«Auftaumaschine Internet» ist großartig. (Ich höre Ihnen so gerne zu.) Aufweichmaschine, wäre das die logische Erweiterung?


bufflon   (03.02.09, 11:00)   (link)  
Ich weiß es wirklich nicht. Die vorherrschende Familienmeinung entspricht ja gerade nicht einer gewissen law and order - Mentalität. Wo schnappt man so etwas also auf? Der Schulhof ist für eher weniger Eingeweihte ein Ort voller Rätsel, man hört Dinge, die dort aufgeschnappt wurden, von denen wusste man selbst bisher überhaupt nichts. Aber das war ja schon immer so. So lange man allerdings über Dinge reden kann, ist das allerdings nur gesund. Schließlich besteht die Welt aus mehr als nur dem eigenen Haus und Hof.

Ja, wenn man nicht aufpasst. Wenn man zum Beispiel abdriftet und sich verliert, werden ja doch eigene Gedanken und Meinungen aufgeweicht. Man sollte sich selbst also nicht aus den Augen verlieren?


jean stubenzweig   (03.02.09, 11:50)   (link)  
Das sollte man wirklich nicht tun. Im Gegenteil, immer noch genauer hinschauen, je älter man wird. Die Gefahr lauert vor allem in einem selbst.

Zum Thema Bildung: Ich habe dazu vor ein paar Minuten einen Beitrag des von mir überaus geschätzten Gonzosophs gelesen, eine seiner bemerkenswerten Denkskizzen.


cabman   (02.02.09, 12:10)   (link)  
Recht hast du, mein Lieber, wie so oft.

Schau ich mir sporadisch an, welch sonderbarer Müll im Netz Verbreitung findet (damit meine ich nicht die gewollt absurden Dinge, sondern die, welche sich so sehr seriös geben und so wichtig nehmen), dann kann ich dir nur nickend beipflichten:

Der private Bildungsauftrag ist der wichtigste von allen. Woher sollen die Kiddis sonst die Freiheit des Denkens lernen und die Möglichkeit des Hinterfragens?

Also, du hast ne mords Verantwortung.;-)


bufflon   (03.02.09, 11:13)   (link)  
Wobei
das Wörtchen "Bildungsauftrag" mit Vorsicht zu genießen ist. Meine Kinder sind keine Projekte, an denen ich mich abrackern und selbst verwirklichen muss, denen ich Dinge angedeihen lassen muss, die ich vielleicht selbst nie erlebt habe, Liebe an dieser Stelle ausgenommen. Allerdings kann ich mich selbst nicht beschweren, bis auf Kleinigkeiten. Finde deinen Weg, denke ich immer, was nicht heißen muss, dass du ihn allein gehen musst. Da sein und nicht mehr verlangen, als möglich ist, was schwer ist, wenn man der Meinung ist, bestimmte Ziele sollten ja doch schon erreicht werden. Von Zwängen wird man sich selten los machen können und es ist schwer, über den eigenen Schatten zu springen. Nicht die vollgekackte Windel ist doch das Problem, sondern die eigenen Erwartungen, der eigene Schatten, Ehrlichkeit zu sich selbst. Fehler sind unvermeidbar, man kann dann immer nur hoffen, dass gegenseitiges Verständnis vorhanden ist und man später dann, wenn all diese sogenannte Verantwortung zum Großteil überstanden sein mag, herzlich darüber lachen kann. Das wünsche ich mir zumindest.











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