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Gute Nacht Geschichte

Langsam verschwindet der Schnee wieder aus der Stadt, der hatte hier sowieso nichts zu suchen, Schnee gehört hier einfach nicht hin. All die Stellen, an denen er vor Tagen so sanft und weich fiel, die harten Züge der Stadt ein wenig zarter erscheinen ließ und die dunklen Straßen und Wege mit seinem jungfräulichen Weiß bedeckte, liegen nun gelblich-braun beschmutzt in der Gegend herum. Menschen trampelten auf ihnen herum, Hunde hinterließen ihre vielfältigen Spuren, Autos spritzten dunklen Matsch auf die weiße Decke, wobei man von einer Schneedecke schon gar nicht mehr reden kann, es ist eher ein Schneemassaker, der arme Schnee, dabei kommt hier er doch so selten zu Besuch. Aber, hier gehört er nun einmal nicht hin. Soll er doch auf Felder fallen, die dort draußen ganz unberührt liegen, in der Mark oder meinetwegen auch gleich hinter der Stadtgrenze, soll er doch hohe Kiefern mit seinem zarten Weiß einkleiden und auch die Wege in der Schorfheide, dort wird er in Ruhe gelassen, weder Jubel noch Trubel herrschen, der richtige Platz für seine aufgezwungene Romantik, dort darf er fast unberührt herum liegen. Nein, die Stadt ist kein Ort für Schnee. Er weiß das wohl, darum verschwindet er, auch wenn es immer noch kalt ist und manchmal sogar sternenklar, er geht und was von ihm übrig bleibt, ist schmutziges Grau, Matsch gemischt mit Streusand und Kies, so bleibt zumindest noch das Knirschen unter den Schuhen, ein Geräusch, als liefe man durch frisch gefallenen Schnee.

Während in der Nacht ein paar üble Monster durchs Gebälk stolzieren, einem den Atem und schließlich auch noch den Schlaf rauben, findet der Tag zwischen Excel-Tabellen und Reinhard Lakomy statt. Also nichts Bemerkenswertes und auch der zwischen Bürostuhl und Monitor eingeklemmte Kopf, dieser vermaledeite, sich dauernd verselbstständigende Denkapparat, dürfte nicht als besondere Sensation gelten. Was sind schon Sensationen? Das Dschungelcamp? Pah. Man tut was man kann. Hier an ein paar Schrauben drehen, dort ein paar Nägel reinhauen, Tasten tippen, dabei fällt mir ein, ich müsste noch dieses tun und jenes und dabei hatte ich doch vor, Liebste, was sagst du denn dazu, ach so, ja, schon eingeschlafen, dahin gerafft von all den Dingen, von all dem Müssen. Und jeden Abend dann, bevor Decken über müde Kinderleiber gedeckt werden und die stille Zeit des Tages beginnt, findet ein Realitätscheck statt, small talk zwischen „Wickie“ dem Wikingerjungen und Mimmelitt dem Stadtkaninchen. Am besten sind dann immer die Tage, an denen man sagen kann „Heute fand ich mal gar nichts doof, alles irgendwie toll.“, positive Energie bevor man sich nicht mehr wehren kann und die Augen zufallen.

[Ein Käseblatt schreibt: "Eiskalt erschossen!" Ich hätte mir gewünscht, es hätte dort "Eiskalt umgelegt!" oder "Eiskalt umgenietet!" oder "Schwein knallt Mann eiskalt ab!" gestanden. Die Variationsmöglichkeiten sind natürlich beliebig erweiterbar, das nennt man wohl Ironie in der Boulevardpresse.]
 
Mi, 14.01.2009 |  # | (854) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: reality blogging


jean stubenzweig   (15.01.09, 04:49)   (link)  
Erinnerung: Eine Zeitlang lebte ich Ende der Sechziger als (schon arg) junger Ehemann draußen in der Schönwalder Allee, kurz vorm gleichnamigen Forst und der dahinterliegenden DDR. Da zerfuhr kein Auto den Schnee zu Matsch, weil ab 18 Uhr allenfalls und hin und wieder ein Bus fuhr, ansonsten: nur für Anlieger. Da gehörte sie hin, die Zuckerwatte auf den Bäumen vor der Loggia. Da konnten einem die Augen friedlich zufallen. Aber in Charlottenburg, wohin der geschiedene junge Ehemann später zog und Sturm und Drang ausprobierte, da kam so gar keine Romantik auf, wenn er im dünnen Hemdchen und Ballerinas an den Füßen durch den Winterschlamm zum Hopsen wollte.


bufflon   (15.01.09, 15:57)   (link)  
Ich sehe,
wir verstehen uns.

Es gibt natürlich immer wieder Ecken und Eckchen, aber nicht zwischen Häusern und Straßen, nein, ein bisschen Wald muss schon her und vielleicht auch noch zugefrorener See.

Nimmt man aber zum Beispiel die Friedrichstraße, laut Mühsam der einzige Ort dieser Stadt, aus dem ein Dichter Poesie schöpfen kann, sofern es ihn der Mühe nicht verdrießt, der Moral durch die Finger und den Huren, Luden und Strichjungen ins Herz zu sehen, dort also wo Radau, Hektik und Gewimmel herrschen, dort passt unschuldiger Schnee nun wahrlich nicht hin. Abgesehen davon hat er dort überhaupt gar keinen Platz zum gepflegten Ausbreiten, zwischen all den Bauten.


lac   (15.01.09, 11:22)   (link)  
doch nun, hier aufm land liegt auch nur noch gelbe schlammpampe. hunde allerorten. schafkacke ist auch nicht zu verachten, allein der umfang der entleerung schlägt den jeder großstadttöle!
beim lesen flackert kleines heimweh....


bufflon   (15.01.09, 15:49)   (link)  
Du
bist nur noch nicht weit genug weg, von Mensch und Hund, da ist immer noch viel zu viel Zivilisation. Rede ich mir zumindest ein. Ich lass mir doch meine romantischen Illusionen nicht nehmen.

[Du hast doch auf jeden Fall noch einen Koffer hier.]











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