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M6

Die Straßenbahn, die Straßenbahn. M1 und M6 liefern sich ein Wettrennen, zumindest wenn es nach den Anzeigen am modernen Haltezeitenmonitor geht, der meistens stimmt, es ist nicht alles schlecht, im Berliner Nahverkehr. Na gut, manchmal wird die Definition einer Minute etwas weniger strikt ausgelegt, dann hat eine Minute mal schnell neunzig Sekunden oder hundertzwanzig, aber meistens stimmen die Zeiten, ich muss das wissen, denn ich beobachte die Anzeige genau.

Und meine Umgebung.

Dieser Mann zum Beispiel, wie er angerannt kommt, nicht hetzend, aber trotzdem die Beine ordentlich schwingend, ganz bestimmt und wohl wissend, dass in Kürze eine Bahn hier einfahren wird und er bestrebt sein muss, diese als erster zu betreten, um sich einen Sitzplatz zu sichern, möglichst einen Einzelplatz am Fenster. Aber vorher noch Rauchen. Hastig am Glimmstengel ziehen, schnell den Rauch wieder aus der Lunge blasen, durch die gelben Zähne hindurch, am grau-gelben Bart vorbei, hinaus in die milde Spätsommerluft, wann kommt denn endlich diese blöde Bahn? Die Anzeige verspricht sofortiges Eintreffen, ungeduldig blinkt das Fahrtziel dieser Linie in einem geheimen Takt, blink blink blink, die Realität sieht leider anders aus. Der Mann krault sich den Bart, ziept und zerrt an seinem kurzärmligen Holzfällerhemd herum und schaut der jungen Frau, die neben ihm ebenfalls gespannt auf die Bahn wartet, in den Ausschnitt.

Sardinenbüchse.

Seitdem die S-Bahnen streiken, ist die Fahrt mit der Straßenbahn unangenehm geworden. Wo man vor kurzem noch freie Sitzplatzwahl hatte, blicken einem nun müde, gerötete Augen ins Gesicht, gar nicht mal fragend, nicht einmal hämisch oder grinsend, meistens ausdruckslos und müde. Kleine, heimlich Blickgefechte mit entzückenden Damen sind in diesem Klima der Überfüllung natürlich ebenso ausgeschlossen, wie die Lektüre schwerstintellektueller Schwarten, ich halte mich an die Abenteuer eines gwissen Pirx. Der Mann im kurzärmligen Holzfällerhemd hastet durch die Gänge, wobei man ja nicht von Hasten reden kann, es ist eher so ein Drängeln mit irrsinnigem Blick und ausgefahrenem Ellenbogen, wahrscheinlich hat er irgendwo einen freien Platz erblickt, den er nun irgendwie ergattern, für sich sichern muss, denn das hier ist der tägliche Kampf ums Sitzen, den er anführt, mit wehender Nikotinfahne.

Und es gibt nichts Schlimmeres, als kalter Rauch in überfüllten Straßenbahnen.
 
Fr, 11.09.2009 |  # | (717) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: haltestellenkino



 
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