Willkommen im Club Marzahnorca Letztes Jahr war alles toll. Letztes Jahr ging irgendwo schon mal die Welt ein bisschen unter und im Westen die Sonne, feuerrot am westlichen Horizont, unter der untergehenden Sonne das brodelnde Meer, blau und warm und unwiderstehlich und wir darauf schauend, ganz braun gebrannt von der Hitze und der Glut und ganz hitzig vom kühlen Ouzo, getrunken aus den edlen Gläsern eines sieben Sterne-Clubs mitten im westöstlichen Mittelmeer. Auch in diesem Jahr ging die Sonne im Westen unter, feuerrot am westlichen Horizont, nur war der gar nicht zu sehen oder jedenfalls nicht ganz, vielleicht, wenn man sich weit aus einem Dachfenster beugte oder auf einen Haselnussbaum stieg, gleich hinter dem Haus. Das Meer schien ausgetrocknet, wie die Geldbörse, der Grund erreicht, wir haben Krise, die alles umfassende Geldbörsendepression. Als wenn sich alles nur darum dreht. Und doch lebt man und genießt die wohltuende Abwesenheit der mediterranen Spaßgesellschaft, man schenkt sich daheim ein kühles Bier ein, bestaunt die Dinge, die einen umgeben, so schlecht, wie andere sie finden, können sie gar nicht sein. Aufs Fahrrad geschwungen und mal geschaut, wie das Volk so tickt, da drüben, auf Marzahnorca, der nahen Nachbarinsel, hinter dem Industriegebiet. Ja, dort haben sie das goldene M, aber schaut doch mal, Kinder, davor stehen riesige Abfallcontainer, ein paar Dixi-Toiletten für die dicken Kinder von Marzahnorca, nur das Spielgerät, umgeben von mit Fettspritzer übersäten Gummimatten, das steht noch. Also kehren wir um ("Ja, ja, wir reiten, bis zum Horizont.") und widmen uns unserer bürgerlichen Idylle, klein ist sie und beschaulich, aber sehr doch nur, auch wir haben einen See, an dem zu entspannen es sich scheinbar lohnt. Nur die schicke Eigentumswohnung am Ufer des Sees oder gar das Ferienhäuschen mit eigenem Anlegeplatz, das gibt die Geldbörse ja doch nicht her, denn, Kinder, es ist Krise, allerorten, schaut euch doch nur mal die Gesichter der Politiker an, hier, dort, überall, nichtssagende Fratzen ohne nennenswerte Inhaltsstoffe, das Konjunkturprogramm heißt Abwrackprämie und wir haben nicht einmal Geld für Gold. Oder Silberkännchen. Nicht einmal den Wohnwagen "Michael" können wir uns leisten, in dem hockt nämlich der schrecklich dicke Sven mit Tante Mathilde, liest die Bild und abends haut er Steaks und Würstchen aus dem nahegelegenen Nettolidlaldisuperdiscoutermarkt auf den Grill, hossa, noch ein Lübzer Pils dazu, zur Not tut es auch ein Sternburger (nicht Starnberger), denn auch der Sven muss in Krisenzeiten sparen, las ich in der Faz. Aber auch die kargen Tage im Zelt am See sind irgendwann vorbei, genauso wie die fetten Jahre im mediterranen Club im westöstlichen Mittelmeer, dem FDGB-Heim für die Partyfunktionäre unserer alles tragenden medoikren Mittelstandsmittelschicht, dann heißt es nach Hause rollen und Pellkartoffeln mit Quark genießen und abends dann, bei Kerzenschein, aus dem Dachfenster lehnen und dem Sonnenuntergang zuschauen, der für die nächsten anderthalb bis zwei Milliarden Jahre keine Krisen kennt.
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(geborgt bei flickr)
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