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Adventskranz

Mit dem Morgen kommt das Grauen. Zitternd, frierend erwachen, die Glieder schwer, schmerzend, Kopf, Rücken, Beine, bin ich das oder doch der hustende, schnaufende, alte Mann, der mich gestern annieste und mich unglaublich anekelte? Jetzt nur nicht schlapp machen. Du, sage ich, aber deine Augen sind genauso schwer wie meine, schwerer noch, du willst etwas sagen, aber dein Mund bleibt verschlossen. Regenwasser rinnt die Rinne hinab, es tröpfelt und plätschert, ein starker Wind bläst gegen die Hauswand, meine Decke fliegt vom Bett und ich trage meinen willenlosen Körper hinaus, geradewegs zum Arzneischrank, der die Linderung birgt. Gib mir alles was es gibt, so klingt es mir im Ohr und nach einer Weile wird der Kopf klar. Die Beine immer noch schwach, das Zittern hat sich tief in die Knochen gegraben, Knabengeschrei bringt den Antrieb, wären die nicht hier, herrschte hier Totenstille, Krankenhausmief, zum Glück nicht. Tee, Tee, Tee, den ganzen Tag fließt Tee aus Kannen, Weihnachtsschmuck schmückt sich von allein an verborgenste Stellen, warmes, gelbes Licht, dezent versteckt, Kerzenschein, es wird warm, kitschig muss es sein, höre ich aus dem Telefon, schön kitschig und wer Weihnachten nicht mag, scheint arm dran zu sein, scheint Geborgenheit nicht zu kennen, nun ja, sage ich, da konnte vielleicht etwas dran sein, aber Familie, das kann ja so manchem auch zur Last werden.

Das Grauen hat sich ein wenig gelegt. Zwischen dicken, dunklen Wolken schaut blauer Himmel hervor, Zuversicht ergreift uns, alle. Der Gang zum Arzneischrank ist obligatorisch, aber wir müssen raus, raus, raus hier, an die frische Luft, andere Umgebung, weg, weg von hier, sonst geht man ein, Langeweile mit Soße. Holländerviertel. Parkplatz an einem Laden, der für Schokolade aus Ziegenmilch wirbt, lactosefrei, aber schmeckt das auch? Kleine, rote Backsteinhäuschen - Backsteine aus Rathenow, 18. Jahrhundert - darin kleine Läden, "Kunst mit Sinn", "Laden 37", da muss ich schmunzeln. Die Liebste schwärmt aus, sie hätte auch gerne so einen kleinen Laden, nur Sachen, die sie mag, aber bitte nicht die Elfen, Made in China, das ist doch blöd, nee, nee. Dafür Herrnhuter Sterne. (Betrachten Sie bitte auch diese Internetseite.) Bringen wir doch ein wenig Licht in den Advent, die kleinen, roten und gelben, die strahlen ganz leise, unaufdringlich, kein buntes Bling-Bling, da bekommt man doch epileptische Anfälle, nein, gemütliches, warmes Strahlen, ein Stern im Fenster, dazu noch Tannenduft, Ende Dezember gerate ich immer ins Schwärmen, Träumen und dann später: Neujahrsernüchterung.

Weihnachtsmarktberieselung. Die Straßen sind noch recht leer, gutes Durchkommen, vorbei an den Ständen voller Unsinn, was soll man denn mit häßlichen Weihnachtsmannwitzfiguren, die auf Motorrädern sitzen und blechern "Jingle Bells" singen? Das nenne ich grausam. Glühweinstände, Lebkuchenherzen mit lustigen Sprüchen, komm Schatz, wir hängen uns eins um, vielleicht "Du bist mein Hasischnuckiputzi"? Nein, nein. So geht das nun auch wieder nicht. Was sollen die anderen denken? Welche anderen? Ach ja, da sind ja noch ein paar. Alles mögliche trifft man hier. Uns, eine bepelzte Lady, den forever-busy Manager, telefonieren bis zum Herztod, den mit Jogginghosen bekleideten Sternburger-Trinker, vielleicht gibts hier ein paar weggeworfene Flaschen im Mülleimer? Lass uns besinnlich bleiben, also gehen, irgendwann gehen die Lichter rundherum an, zum Nachmittag wird alles duster, es riecht nach Zimt und langer Bratwurst, Glühwein, Punsch oder Punch, steht einer Hütte geschrieben - da trifft dich der Schlag. Nun doch noch ein bisschen Feeling, ich will nach Hause, Plätzchen backen, so will es die Tradition, aber doch nicht mehr heute, sonst fallen wir noch um, vor Erschöpfung, lass uns einen Kaffee trinken, Sterne schauen, Herrnhuter Sterne - ich wusste gar nicht, dass wir schon oft durch Herrnhut gefahren sind - und wenn wir besinnlich werden wollen, singen wir gemeinsam "I love my Leid" oder vielleicht doch "I love my Spießerleben"?
 
Mi, 05.12.2007 |  # | (438) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: fragmente



 
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