Bahnfahrt Ein Frau in einem dunklen Mantel drängt sich durch die Straßenbahn, sie trägt eine große eine Tasche, ein kleiner, aber offensichtlich sehr schwerer Koffer, den sie angestrengt durch den Gang bugsiert, macht ihr ein schnelles Durchkommen schwer, kleine Schweißperlen sammeln sich auf ihrer Stirn. Sie ergattert einen Platz in einer der vorderen Reihen mit Zweiersitzen und besetzt gleich beide freien Plätze. In der Hand hält sie eine Fahrkarte, sie ist sichtlich erleichtert, atmet leise säufzend aus und vertieft sich in eine Zeitung. Später wird sie von schlecht drei gelaunten Kontrolleuren in blauer BVG-Uniform, die sich betont laut redend um sie scharen, aus der Bahn geworfen, im wahrsten Sinne des Wortes. Alles sehr unfreundlich, unhöflich, es wird mit Polizei gedroht, ein Wille zur Dienstleistung, Hilfsbereitschaft gegenüber der verunsicherten Frau ist nicht erkennbar. Die Fahrkarte sei von der S-Bahn, die scheinbar nicht zur BVG gehört, folglich hätte sie diese abstempeln, "Entwerten!" müssen, sie tat es nicht und nun versteht sie die Welt nicht mehr, sie spricht nur gebrochen Deutsch. Niemand sagt etwas, alle schauen betreten zu Boden, sie steigen aus, draußen regnet es, verloren steht sie da, zwischen den aufrechten Kontrolleuren, wieder ein Opfer gefunden, Strafe muss sein. Die Bahn fährt weiter und die vier an der Haltestelle stehen gebliebenen rücken in weite Ferne. Vor mir sitzt ein kleiner verschrobener Mann, der versucht, durch seinen großen Kopf viel zu kleine Lesebrille eine Fernsehzeitschrift zu lesen, Formel-Eins-Sonderteil, ab und zu beugt er sich weit nach vorn, mit dem Kopf in den Gang, um die kleinen Bildunterschriften erkennen zu können, vorbeiströmende Menschen reißen ihn dabei fast vom Sitz, ständig blättert er vor oder zurück, er wirkt verwirrt, spricht leise mit sich selbst, selbstvergessen. Im hinteren Teil des Wagens stehen drei junge Mädchen, kurz vor dem pubertären Höhepunkt, ihr Alter schwer zu schätzen. Es geht um Checker, Ärsche, MTV und Klingeltöne, jedes zweite Wort ist "Alter!", Klingeltöne werden ausgestauscht, Jamba hat jetzt eine Flatrate, höre ich, demnächst werde ich wohl irgendeinen Musiksender einschalten und die Welt nicht mehr verstehen. Altertum. Ich kämpfe mit meinem Buch, das Buch mit mir, die letzte Nacht war kurz und voller Unterbrechungen, es gab Zeiten, da konnte ich mich ins Bett legen und augenblicklich einschlafen, diese scheinen nun vorüber, der Schlaf gewinnt, das Buch verliert, unglaublich müde schlafe ich mit hängendem Kopf ein.
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(geborgt bei flickr)
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Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57 Links: ... Home ... Blogrolle (in progress) ... Themen ... Impressum ... Sammlerstücke ... Metametameta ... Blogger.de ... Spenden Archiviertes:
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