Stadt mit Baustellen Aus welchen Gründen wir an einem Samstag nach dem Weckerklingeln aufstanden, statt einfach liegen zu bleiben und dem Alltag ein Schnippchen zu schlagen, ist vorerst nebensächlich. Wir standen auf und draußen lauerte leichter Nebel, der sich aufs müde Gemüt legte und ein wenig die Gedanken lähmte, während wir Straßenbahn fuhren. Ganz schön was los, um diese Uhrzeit, stellten wir fest, dabei hatte Ikea noch gar nicht geöffnet, nur der Kamps an der Landsberger Allee, über die, glaube ich, auch noch niemand sang, obwohl sie unglaublich lang ist, so unglaublich lang, wie Straßen nur in Großstädten sein können, Metropolen, die niemals schlafen, undsoweiter. Metropolen, in denen Häuser abgerissen werden, um neue Häuser zu errichten. Am Velodrom hat man versucht, einen Park zu errichten, der nun ein bisschen Bio-Irrgarten ist. Das Gras steht hoch, ist durchsetzt von Unkraut und Kräutern, ein paar Obstbäume vegetieren vor sich hin, gammeln an verschiedenen Stellen, tragen viel zu kleine Früchte und auf der anderen Seite der Straße entstehen Townhouses, die schweineteuer sind und trotzdem gekauft werden, weggehen wie warme Semmeln vom Industriebäcker Kamps in der Landsberger Allee. Überhaupt, was dort entstand, an der Storkower Straße, ein zweites Kaulsdorf, nur näher dran am Alex und noch ein bisschen exklusiver, kein Haus unter dreihundertfünfzigtausend, hier wohnt irgendeine Mittelstandselite. Samstags trifft man sich dann mit denen und anderen (denen aus Marzahn-Hellersdof, die mit den verwaschenen Jeans, billigem Kaffee im Pappbecher vom Discountbäcker an der Ecke und Zigaretten vom Polenmarkt, aber nee, ich zähl mich nicht zur besseren Mittelstandselite, nee, nee) auf Fußballplätzen und schickt den Nachwuchs ins Rennen. Ab und zu unterhält man sich und eine von denen, die irgendwas sein wollen - und jeder will hier irgendwas sein - erzählt, dass ihr Kind eine Kapitalanlage sei und alles zurück zahlen wird, wenn er mal Profi ist. Wir schauen uns dann die Kapitalanlage an und denken ganz still in uns hinein, dass hier keine Zinsen zu erwarten sind, hier wird nur drauf gezahlt. Wir schauen und schweigen. Irgendwer sang einmal von der Stadt mit Loch, wir singen von der Stadt mit Baustellen. Mit dem Auto durch die Stadt zu fahren ermüdet. Warum man das macht ist klar: Kinder, Kapitalanlage, irgendwann riesige Rendite, Townhouse an der Landsberger Allee, schicker Vorgarten, Zweitwagen von VW, Zweithund. Und dann kommt Moabit. Hinter einem alten Gefängnis - ungenutzt, verfallend, ein Wunder in dieser Stadt - liegt das Poststadion, Bälle fliegen, Schiedsrichter pfeifen, Amateurfußballalltag in der Stadt, hoher Migrantenanteil. Neben dem Platz entstehen auch ein paar Townhouses, dicht gedrängte Reihenhäuser in einem quasi modernen Stil (viel grau, dunkelgrau, nicht hellgrau, wie damals in Marzahn-Hellersdorf, trotzdem irgendwie kasernenartig) mit Handtuchgärten, Blick auf den Hauptbahnhof und den Kunstrasenplatz des Berliner AK, wer hier nicht hinziehen will, ist selber schuld. Den ganzen Tag lag graue Schwüle über der Stadt, ein bedrückendes Grau, spätsommerlich und trotzdem leicht novemberartig. Am Abend meldet sich die Sonne noch einmal zu Wort, erheitert ein wenig das Gemüt, wir spielen moderne Gesellschaftsspiele (alles elektronisch), vor allem damit wir nicht auf der Couch einschlafen, mit unseren vollen Mägen und müden Köpfen und die Kapitalanlagen zeigen, dass sie schlauer sind als wir, die alten, gammligen Eltern, ohne Townhouse, in der Stadt mit unendlich vielen Baustellen. to be continued
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