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Le Birnbaum

Auf der Straße bewegten sich Menschen, Menschen in Obama-Shirts, Menschen auf der Suche, Menschen, die fotografierten, Menschen, die sich küssten, Menschen, die einfach so vor sich hin leben, Menschen, die Angst vor Terror haben und die schon am Morgen das Gefühl hatten, dass heute, an dem Tag, an dem ein Mann, der etwas will, was er noch nicht hat, so tut, als hätte er es schon und könnte so die Welt irgendwie verändern und Millionen jubeln ihm dann zu, etwas passieren würde, etwas Schreckliches, etwas Bedeutsames; alles Quatsch, Quark, Käse. Aber das werden sie wohl nie einsehen.

Er dagegen machte sich auf den Weg, bewegte sich nach außen, an den Rand der Stadt, der unberührt von dem Trubel bleibt, an dem das Leben genauso weiter geht, wie es alle gewohnt sind, ein Ort, an dem Veränderungen sich im Schneckentempo vorwärts bewegen und so kaum wahr genommen werden, weil alle, die hier leben, sich automatisch anpassen und einfach weiterleben, als hätte es nie anders sein sollen.

So, sagte er sich als er angekommen war, das ist er also, der Birnbaum, von dem sie immer sprachen, ein stattliches Stück, weit ausladend und hoch und eine von tiefen Furchen durchzogene Rinde. Er setzte sich in den Schatten des Baumes, in das knietiefe Gras, alles um ihn herum war verwildert und zugewachsen, ein paar Sonnenflecken dazwischen, Schattenmoos, über ihm eine wilde Vogelschar und der das Rauschen des Windes in den Baumkronen übertönte das Geräusch der auf der naheliegenden Straße vorbei fahrenden Autos. Schön hier. Und der Birnbaum erst, von dem alle sie schwärmten, sie hatten recht. Wie alt er wohl sein mochte? Hundert Jahre? Oder fünfzig? Fünfzig Jahre mindestens und der Nachbar kam gar nicht mehr raus aus dem Schwärmen, dies sei ja einer der wenigen Bäume, der noch keine Krankheit habe, der völlig gesund sei und im Herbst stiegenweise Birnen abwerfe, süß und voll und duftend. Nur die, die von ganz oben herunter fallen, die kann man nicht mehr essen, sagte er, weil sie so tief fallen und aufplatzen und sich dann Scharen von Ameisen darauf stürzen. Aber soweit war es ja noch nicht, es war Sommer und gerade jetzt diente der Baum als willkommener Schattenplatz, hier war es kühl und angenehm und es fühlte sich gut an. Ein gutes Gefühl am Rande der Stadt.

Was zählt, fragte er sich, im Schatten des Baumes sitzend und das vibrierende Handy in der Hand. Was zählt, fragte er sich, als er die Nummer auf dem Display seines Handys sah. Was zählt denn nun wirklich? Das hier vielleicht und sonst nichts? Ja, dachte er, das hier zählt, zumindest fühlte sich das hier so an, dieser Ort, unter dem Birnenbaum und er drückte den lästigen Anrufer zum dritten Mal weg. Jetzt nicht.

Vielleicht, dachte er, vielleicht sollte ich das Land einfach kaufen, dieses Land, rund um den Birnbaum, der, wenn er reden könnte, wohl Geschichten erzählte, von all dem, was hier einmal passierte und der einem sagen könnte, ob das Gefühl nun wirklich stimmt oder ob man sich nur getäuscht hat. Aber das Gefühl stimmte. Es musste stimmen. Denn, wenn man seinen eigenen Gefühlen nicht mehr vertrauen kann, wem dann? Und der alte Birnbaum wankte zustimmend im Wind, der immer wieder rauschend durch seine Krone fuhr.

Ja, sagte er sich, das ist es. Genau das.
 
Fr, 25.07.2008 |  # | (404) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: blogosophie


monolog   (26.07.08, 09:41)   (link)  
Und dann ein Baumhaus bauen, in den Birnbaum hinein. So eines zum drum und dran leben. Und ab und zu abends nach dem Zähneputzen heimlich eine süße, saftige Birne essen.


bufflon   (28.07.08, 11:11)   (link)  
Ja,
genau das!










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(geborgt bei flickr)


Online seit: 08.02.2006
Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57


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