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So oder auch anders

Die Welt ist wahnsinnig und verrückt. Pauschalisierend lief ich die Straße entlang und sah einen Mann, der aussah wie Graf Lottmann. Er saß auf einer Bank, müde, träge, schläfrig und natürlich sprach ich ihn an:

"Herr Lottmann, warum sitzen Sie hier rum und blasen Trübsal? Haben Sie etwa nichts zu schreiben?"

Das war sicherlich frech und im Prinzip auch unmöglich. Ich habe mich aber der Welt angepasst, bin wahnsinnig und verrückt geworden. Und Graf Lottmann antwortete mir:

"Über Sie könnte ich doch gar nichts schreiben. Ihr billiger Sparkassenangestelltenlook ist doch genauso öde und langweilig wie beispielsweise die deutsche Politik. Damals, als der Schröder noch Medienkanzler war, da war noch was los, ja. Aber jetzt? Nichts. Ein müder Beck und eine Fußballkanzlerin. Wären Sie wenigstens ein bunter Vogel, könnte man da vielleicht noch etwas schönschreiben, ein Anekdötchen erfinden, aber so. Diese deutsche Angestelltenlangeweile, das ist ja überhaupt nicht zu ertragen. Bitte gehen Sie weiter."

Sprach er und ich gab ihm natürlich recht.

"Graf Lottmann, Sie haben natürlich recht. Allerdings, das sollten Sie an dieser Stelle nicht ganz vernachlässigen, ist es doch gerade dieser billige Sparkassenangestelltenlook, der mich als hier und jetzt als Person ausmacht. Ich bin ja nun mal so, wie ich bin, also mindestens in der Verbindung zwischen dem inneren Kern und der nach draußen getragenen Hülle, also an dieser Grenzlinie zwischen den nach innen gedachten Gedanken und der zur Schau gestellten Äußerlichkeit. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich irgendein wichtiger Philosoph bereits mit diesem Thema ausführlich beschäftigte und den zitieren zu können einen modernen intellektuellen Menschen wohl ausmachen dürfte, ein Philosoph, den ich aber wieder einmal nicht kenne und darum ja gar nicht erst zu dieser modernen Elite gehören kann, sondern nur zu den angestellten Langweilern. Und seine Thesen hat er bestimmt schon in dieses bedeutsame Internet geschrieben, und wird nun dort von Millionen Kommentatoren der modernen Elite gefeiert und zum Gotte erhoben, während ich nur youtube-Videos anschaue und in der Vergangeheit stehen bleibe. Allerdings, würde ich jetzt zum Beispiel im Rastafari-Schlumperlook herumlaufen, nen Joint zwischen den Zähnen und nen feinen Reim auf der Zunge, ich wäre genauso wenig authentisch wie im Ballkleid von Mausi-Lugner oder im Nadelstreif eines Vorstandsvorsitzenden. Verstehen sie, was ich meine?"

Leider war er in diesem Moment schon gar nicht mehr da, sondern dort, in irgendeiner Coffee-to-sit-Bar, in der sich die moderne Elite jeden Tag trifft und gemeinsam twittert und schmust und philosophische Zitate über das Internet, in das ja nun auch die bedeutensten Philosophen unsere Zeit hineinschreiben dürfen, austauscht und über alle anderen lacht. Ich dagegen hatte nun meinen halbgaren Monolog einer japanischen Reisegruppe vorgetragen. Die japanischen Freunde lachten brav und klatschten im Takt und nickten dazu ganz selbstverständlich. So viel Anerkennung war mir zuviel für einen Tag, ich nahm meinen Angestelltenrucksack und verschwand in meinem Angestelltenleben.
 
Do, 03.07.2008 |  # | (326) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: blogosophie



 
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