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electro fontane

"...ich habe da, wo mein Herz spricht, nicht das Bedürfnis, zu einem Engel zu sprechen, im Gegenteil, mich bedrücken Vollkommenheiten, vielleicht weil ich nicht an sie glaube; Mängel, die ich menschlich begreife, sind mir sympathisch, auch dann noch, wenn ich unter ihnen leide..."

Theodor Fontane, Frau Jenny Treibel

Zugegeben, dies ist kein Krimi, der packt und zerreißt und einem den Schlaf oder auch den Atem raubt, tief unter die Haut gehende Erotik wird man hier nicht finden, ab und zu wird mal flüchtig geküsst oder leidenschaftlich geschaut, aber letztlich bleibt alles anständig, jedenfalls an Maßstäben aus dem Jahre 1892 gemessen. Es geht um einen Fabrikanten mit politischen Ambitionen (in Teupitz-Zossen), aber nicht hauptsächlich, sondern eher um Mütter und Schwiegermütter, vor allen Dingen in Person der stolz stolzierenden Kommerzienrätin Jenny Treibel, um Söhne und Töchter, Schwiegersöhne und Schwiegertöchter, um Berlin und Hamburg, ganz nebenbei. Alles ist wunderbar miteinander verquickt, der mit der und die mit dem und überhaupt wird in diesem Büchlein viel geschwatzt und alles fließt so locker flockig vor sich hin, selbst die scheinbar größte Krise, und dann fallen ab und an bemerkenswerte Sätze wie der obige, die mich über meinen leise vor sich hin garenden Groll über einen bereits vermuteten Fehlgriff ins Bücherregal, einen sogenannten "Griff ins Klo", hinwegtrösten können.

"...Aber was griffe der Berliner nicht an ... und ich wüsste kaum etwas, was vor der Eingebildetheit unserer Bevölkerung sicher wäre..."

Ich weiß nicht, was mich trieb, als ich mir dieses Büchlein zufällig aus einem Regal meines Lieblingsbuchladens in der Reinhardtstraße griff, es war wohl der Klappentext ("In einer für den Berliner Witz kennzeichnenden Verbindung von Gutmütigkeit und Spottsucht wird geschildert...") und der unglaublich günstige Preis (3 €), die mich sofort von der unbedingten Kaufbarkeit überzeugten. Zwischendurch dachte ich, endlich die perfekte Einschlaflektüre gefunden zu haben, doch dann kam es mir gerade recht, als Zeitvertreib im Wartezimmer und so las ich, dank der Gesundheitsreform, mehrere Stunden zwischen anderen asthmatischen und vor allen Dingen alten Menschen, die sich ständig über ihre jüngst verstorbenen Freunde unterhielten, und durfte an so mancher Stelle schmunzeln und grinsen.

Gestern abend durchforstete ich meine Musiksammlung und blieb bei einem gewissen Nick Warren hängen, der mich seit Wochen wieder in seinen Bann gezogen hat, Global Underground 18, Amsterdam, Musik, die mich gleich an dieses Buch erinnerte. Alles so wunderbar fließend, tragend, vielleicht auch ein wenig schwebend, nicht zu anspruchsvoll, aber tatsächlich befriedigend, ja, so hörte sich die Musik an, so las sich auch das Buch und obwohl über 100 Jahre zwischen Text und Tönen liegen, ergänzen sich am Ende beide, in meinem Kopf und nur das ist wichtig.

(Dies ist übrigens keine Rezension, so etwas kann ich nicht, das sagte es mir schon dieser eine mich, aus verständlichen Gründen, nicht mögende Deutschlehrer, darum werde ich dies auch hier sicherlich vermeiden bzw. schon gar nicht damit anfangen. Es geht mehr um eine Leseerfahrung und eine Idee beim Hören von Musik, Text und Musik, beides Kunst, die sich in diesem Fall, trotz der Gegensätze, wunderbar ergänzen. Übrigens fiel mir noch ein, dass man die verschiedentlich auftauchenden Orte in einer Googlemap kennzeichnen könnte, für Interessenten vielleicht. Sollte ich die Zeit finden, reiche ich das nach.)
 
Do, 10.05.2007 |  # | (664) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lesereise



 
Mi, 09.05.2007 |  # | (684) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: fremde feder



 
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Letzte Aktualisierung: 03.06.2024, 07:57


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